Denk ich an Afrika…

Akissi – Auf die Katzen, fertig, los! und Akissi – Vorsicht, fliegende Schafe! rezensiert von Juia Bousboa

In ihrer Reihe Akissi zeichnen Marguerite Abouet und Mathieu Sapin vor der Kulisse Abidjans eine starke kleine Heldin, die sich so gar nicht dem westlichen Bild vom bedürftigen afrikanischen Kind unterordnen will. Ein Kindercomic für alle ab sechs.

Beginnen wir mit einem kleinen Gedankenexperiment: Schließen Sie die Augen und denken Sie an Afrika – was sehen Sie? Unbekannte Wildnis, gefährlich und unberechenbar? Madonna, wahlweise Angelina Jolie mit einem weiteren Adoptivkind? Deutsche Schauspielerinnen, die für »1 Packung Windeln = 1 lebensrettende Impfdosis« werben, indem sie sich inmitten äthiopischer Kinder fotografieren lassen? Hitze, Dürre, Aids und Leid?

Unser westlicher Blick auf Afrika und seine Bewohner_innen ist nach wie vor kolonialistisch und klischeehaft geprägt, insbesondere medial. Helfende weiße Frauen und privilegierte abenteuerlustige Männer auf der einen Seite, hilfsbedürftige Afrikaner_innen auf der anderen, selten mit einer eigenen Stimme, weder politisch noch kulturell.

Eine evorisch-französische Stimme, die es Dank Reprodukt in deutsche Buchläden geschafft hat, ist die von Marguerite Abouet: Die Autorin und Drehbuchautorin wurde 1971 in Abidjan, der größten Stadt der Elfenbeinküste, geboren und lebt mittlerweile gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrem Mann Clément Oubrerie in Frankreich. 2006 erhielten beide für ihre Graphic Novel Aya den Preis für das beste Debüt beim Comicfestival im französischen Angoulême. Aya ist ein Comicroman über das Leben dreier junger Frauen in Abidjan Ende der 1970er Jahre, Titelfigur ist die 19jährige Aya. Jenseits von Hunger und Bedürftigkeit zeichnen Abouet und Oubrerie ein ebenso buntes und komisches wie nachdenkliches Bild vom Leben in der ivorischen Großstadt.

Seit 2018 hat nun auch Ayas kleine Schwester, die bereits in den beiden Aya-Bänden auftaucht, eine eigene Comic-Reihe: Akissi, für Kinder ab sechs Jahren. Und auch Akissi macht nicht den Eindruck, als müsste sie adoptiert werden – obwohl sie auch mal einen Bandwurm ausniest.

Für Akissi arbeitete Marguerite Abouet mit Mathieu Sapin zusammen, einem Illustrator und Comiczeichner, der zuletzt eher mehr oder weniger große französische Männer zeichnete: Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte, Gérard: Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu oder Le Château über die Amtszeit von François Hollande. Und nun also ein Comic über ein kleines Mädchen im ivorischen Abidjan.

Akissi ist um die sechs Jahre alt und erlebt vor der Kulisse Abidjans genau das, was ihre jugendlichen Leser_innen auch aus ihrem eigenen Leben kennen: Sie spielt mit ihren Freundinnen und Puppen Mama, muss einen über die Mauer geflogenen Ball zurückholen oder streitet sich mit ihrem älteren Bruder Fofana, der sie nie mitspielen lässt. Gleichzeitig muss Akissi ihren Affen vor dem Kochtopf retten und nimmt Eintritt von den Nachbarskindern für einen Fernsehnachmittag im abgedunkelten Wohnzimmer – der größte Unterschied zum Leben deutscher Kinder ist vermutlich der, dass Akissi und ihre Freunde nahezu unbehelligt von Erwachsenen ihre Nachmittage auf den Straßen Abidjans verbringen, wo es dann auch mal passieren kann, dass sie sich Würmer einfangen, weil sie verdorbenes Gemüse vom Boden gegessen haben.

Was trotz solcher – den deutschen Leser_innen fremden – Begebenheiten in diesen cartoonartigen Episoden, die alle mit einem Gag enden, deutlich wird: Wie ihre große Schwester Aya taugt auch Akissi nicht für klischeehafte Zuschreibungen des Westens an ein afrikanisches Mädchen. Sie ist so mutig und gewitzt wie beispielsweise Madita oder Der kleine Nick und damit bestens als weiteres Role Model für junge Leser_innen geeignet.

Es ist zu hoffen, dass Comics und Bücher wie Akissi und Stimmen wie die von Marguerite Abouet in Zukunft häufiger den Weg in deutsche Kinderbuchregale finden, damit der westlich geprägte Blick auf Afrika (dasselbe gilt natürlich auch für Asien und die arabischen Länder) nicht von Generation zu Generation unreflektiert weitergegeben, sondern auf die tatsächlichen Lebenswirklichkeiten umgelenkt wird. Denn diese Stimmen zeigen die Gemeinsamkeiten von Kindern auf der ganzen Welt: Es wird gestritten und gespielt, mal liegt man krank im Bett und mal wird man von seinem Vater ausgeschimpft. Gleichzeitig benennen sie ganz natürlich und wie nebenbei kulturelle, finanzielle oder auch religiöse Unterschiede und ermöglichen so den Blick über den eigenen Tellerrand, das Auseinandersetzen mit dem Eigenen und dem Fremden. Und damit kann man eigentlich nie früh genug anfangen.

 

Akissi – Auf die Katzen, fertig, los!
Marguerite Abouet (A), Mathieu Sapin (Z) (Übersetzung: Ulrich Pröfrock)
Berlin: Reprodukt, 2018
96 S., 18,00 Euro (ab 6 Jahren)
ISBN 978-3-95640-158-9

Akissi – Vorsicht, fliegende Schafe!
Marguerite Abouet (A), Mathieu Sapin (Z) (Übersetzung: Ulrich Pröfrock)
Berlin: Reprodukt, 2019
96 S., 18,00 Euro (ab 6 Jahren)
ISBN 978-3-95640-205-0