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»How could anyone say that our work is repetitious.«
»I yam what I yam an’ thass al I yam...«

Differenz und Wiederholung der autobiografischen Comicfigur in den gemeinsamen Arbeiten von Aline Kominsky-Crumb und Robert Crumb

Ole Frahm (Frankfurt a. M.)

Wo anfangen? Es gibt immer mehr als einen Anfang, zwei Anfänge, wie bei dem ersten Heft, immerhin das erste Heft einer Serie, von Self-Loathing Comics (1994). Das gibt sich aber als solches gar nicht zu erkennen (DT, 143–178). Und ihm gehen mehrere Hefte mit schmutziger Wäsche voraus, Aline and Bob’s Dirty Laundry Comics (1974 und 1977, DT, 9–77). Wo anfangen? Das Heft hat zwei Cover, ein von Aline Kominsky-Crumb und ein von Robert Crumb gestaltetes. Das Heft ist so von beiden Seiten, von vorne und von hinten zu lesen, genau genommen aber gibt es kein Vorne und kein Hinten, denn beide Geschichten enden in der Mitte, wo die feministische Zeichnerin und der berüchtigte Underground-Künstler aufeinandertreffen, die umkämpfte Mitte, wo offen bleibt, wer sich oben, wer sich unten befindet (DT, 160–161). Stets geht es um Macht, wie immer sich das artikuliert. Offen bleibt nicht, dass dieses Verhältnis sexualisiert ist und diese Sexualisierung immer auch mit Gewalt einhergeht.

Dabei beginnt ein Anfang ganz friedlich mit der von Aline und Robert Crumb gemeinsam gezeichneten Diskussion um die Frage der Widmung (DT, 144). Und auch der zweite Anfang, wenn das Heft umgedreht wird, beginnt friedlich mit einer ebenfalls gemeinsam gezeichneten Aperitif Time in the South of France (DT, 178). Die Crumbs sind seit drei Jahren in Frankreich, der weithin wahrgenommene Film Crumb (1994) von Terry Zwigoff ist kurz zuvor in die Kinos gekommen. Ihr Heft, Self-Loathing Comics, lässt sich als geteilte Reaktion darauf lesen, beide zeichnen eine Hälfte, sie treffen sich, streitend und ohne Ende. Gerahmt ist diese Teilung aber von den beiden Editorials, die sie wie zuvor in ihren gemeinsam veröffentlichten Arbeiten gemeinsam gezeichnet haben und die von ihrer Gemeinsamkeit gezeichnet sind. Das letzte Panel der Aperitif Time, das die Hälfte von Kominsky-Crumb einleitet, stellt zwei Figuren des Autobiografischen vor, die sich als bestimmend für dessen erscheinen in den Comics verstehen lassen (Abb. 1): zuerst einmal die Wiederholung, die Iteration, wie sie von der von Kominsky-Crumb gezeichneten Figur ins Spiel gebracht wird: »How could one say that our work is repetitious?!« und dann – in der von Crumb gezeichneten Figur – die ebenso notwendige wie vergebliche Insistenz auf das sein als Sein und dessen Tautologie als Bezeugung von Authentizität und Unverwechselbarkeit: »I yam what I yam an’ thass all I yam«. Notwendig, weil dies erst die Beziehung zwischen Figur und Autor begründet, vergeblich, weil sich diese Beziehung immer schon destabilisiert in der ursprungslosen Zerstreuung der Zeichen und der notwendigen Iteration oder Performativität der Identität, wie sie Judith Butler in ihren Lektüren für die geschlechtliche Identität herausgearbeitet hat (vgl. Butler 1990, 1993).

Abb. 1: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 178, Panels 8 und 9.

Sicherlich lässt sich ähnliches auch für andere, nicht nur explizit autobiografische Figuren in den Comics annehmen (vgl. Frahm 2010, 61–112; Frahm 2012; Frahm 2013). Doch wird hier diese Spannung zwischen Identität und Wiederholung spezifisch reartikuliert, und entfaltet zwischen den beiden Figuren ihre eigene Bedeutung, die nicht nur ausdrücklich an die Geschichte der Comics und anderer populärer Bilder anschließt, sondern sich auch dezidiert von ihr absetzt. Sie verzichten auf einen Anfang, eine Geste, mit der auch der eine Ursprung, der dem männlichen Genie in der Tradition zugewiesen wird, sich auflöst. Dieses Genie, das Crumb oft zugesprochen wurde, ist eben nicht mehr oben, höhergestellt, wer oben oder höherstehend ist, ist umkämpft, wie die beiden Zeichnenden es in der Mitte inszenieren.

Diese Haltung wird, wie nahezu alles in diesen gemeinsamen Comics, als Scherz vorgetragen. Kominsky-Crumb regt sich über die Vorstellung auf, dass jemand ihr gemeinsames (our) Werk für repetitious halten könnte, nicht repetitive, also wiederholend, sondern repetitious, sich (ermüdend) wiederholend. Vordergründig (wie alles in den Comics vordergründig ist) empört sich die Figur Aline Kominsky-Crumb über diejenigen, die ihre Arbeit als sich wiederholend verstehen, obwohl ihre Arbeit genau dies ist. Doch das entspricht einer typischen Struktur des Witzes: Als Künstler_innen sind sie immer Original und müssen diese Originalität sich wiederholend behaupten. Our work ist entsprechend als Kunstwerk, als Korpus zu verstehen, was zum einen das Verhältnis von Comics und Kunst ironisiert und zugleich – 1994 – darauf anspielt, dass Crumb vermehrt auch im Kunstfeld wahrgenommen wurde und Kominsky-Crumb neben den Comics immer auch Bilder gemalt hat – 2017 hatten sie mit Drawn Together eine gemeinsame Ausstellung in der renommierten New Yorker Galerie David Zwirner.

Der Anlass der beiden Sprechblasen – die Figur Crumb scheint die Figur Kominsky-Crumb angefallen zu haben – ist der Ironie dieser Figuren angemessen, gerade eines der vielen, sich immer wieder wiederholenden Elemente der (gemeinsamen) Comics von Kominsky-Crumb und Crumb. Insofern ist ihre Aussage derangiert, was auch die fünf Sterne und die fünf Schweißperlen wie auch ihr Gesicht andeuten.

Dieselbe Figur ironischer Renitenz scheint Crumbs Comicfigur zu bieten, die mit verschränkten Armen auf ihre Empörung antwortet oder diese unterstreicht. Sollen die Leute sagen, was sie wollen, er würde sich nicht ändern. Doch schon im wiederholten yam bleibt offen, was dieses I, das da wiederholt werden muss, eigentlich ist. Dass es wiederholt werden muss, um sich behaupten zu können (nicht weniger als dreimal). Und in diesem Satz wird deutlich, dass I yam eben niemals alles sein kann, what I yam, sondern es noch mehr geben muss und sei es nur ein thass all I yam, das sich als Supplement zum I anhängt – oder wie die Spitze der Sprechblase, die ganz gerade auf den selbst wie ein I sich gebenden Körper zeigt.

Identität und Wiederholung sind also jeweils immer schon ermüdend wiederholt und ironisiert, weshalb sie auch hier noch einmal genauer identifiziert und durchgearbeitet werden müssen.

I yam: Die unzuverlässige Identität

Crumbs renitentes I yam what I yam an’ thass all I yam... spielt auch auf die oftmals geäußerte Kritik an dem Sexismus seiner autobiografischen Arbeiten an: so, wie er nun einmal ist, ist und bleibt er und kann das – entgegen aller Kritik – nicht ändern. Hier rechtfertigt er sein übergriffiges Verhalten gegenüber der Figur Alines im vorherigen Panel, wo deren Sprechblase keine Artikulation mehr erlaubt, sondern nur ein „YAWPHH“. Mit dieser zur Schau gestellten Haltung verschleiert Crumb natürlich und wissentlich die Entscheidung, die zu dieser Aussage (und allen anderen Aussagen) führt, behauptet einen Zwang, der ihn scheinbar immunisieren soll gegen diese Kritik. Doch Crumb wäre nicht Crumb, würde er dies nicht selbst auch sichtbar machen, in diesem Fall durch ein offensichtliches oder unübersehbares Zitat der Comicfigur Popeye von Elzie Crisler Segar, der nicht zufällig auch als jüdischer Comiczeichner zitiert wird.

In den ersten Jahren nach seinem ersten Auftreten ruft Popeye mehrfach I yam what I yam and that’s all I yam aus, wobei sich die Wiederholungen wie immer im Comic leicht unterscheiden. Crumbs bezieht sich nicht nur auf ein Panel, sondern auf zwei (Abb. 2 und 3). In Crumbs I yam what I yam and thass all I yam werden beide Panels verblendet und um eine leichte Verschiebung ergänzt. Das yam ist aus dem ersten Erscheinen der Phrase genommen, das thass aus dem zweiten. Es sind nur die ersten beiden einer langen Reihe (vgl. unten Abb. 14 und 15). Während der Satz bei Segars ersten Versuchen noch repetitiver wirkt, weil zweimal what I yam wiederholt wird, schließt Crumbs Phrase, wie später Segar selbst, dies mehr ab: thass all I am.

Abb. 2: E. C. Segar: Popeye, 6.11.1929, in: Thompson 2006, 70.

Abb. 3: E. C. Segar: Popeye, 14.11.1930, in: Thompson 2006, 124.

 

 

 

 

 

 

Im Zitat erscheint Crumb als Wiedergänger von Popeye, einer der hässlichsten Comicfiguren aller Zeiten, »ya old shipwreck in the face«, beschimpft ihn sein Freund Castor Oyl, oder nennt ihn einen »one-eyed pelican« (Popeye, 9. und 10.04.1930, Thompson 2006, 92). An einem früheren Tag fragt ihn Castor, ob er sich beim Rasieren nicht oft schneiden würde? Popeye versteht nicht und der Freund erläutert: »Do you mean to tell me that you can look into a mirror and not laugh?!« (Popeye, 28.09.1929) Tatsächlich war Popeye zum Lachen und das machte den Strip erfolgreich – dabei ist Popeyes Visage nicht einmal symmetrisch wie bei den meisten anderen Comicfiguren. Ein paar striche ersetzen den Punkt des zweiten Auges. Diese halbe Blindheit liest sich wie ein doppelter selbstreferenzieller Scherz, schließlich bedeutet popeyed glotzäugig. Und Comics wurde oft genug ihre halbblinde Zweidimensionalität vorgeworfen, die hier zur Figur wird und zugleich nur zur Hälfte allen Klischees entspricht: Der Seemann ist so rau wie abenteuerlustig, schlägt sich gerne und erkennt keine Autoritäten an. Doch bald zeigen sich in Segars Strip und mit des Seemanns Popularität andere Seiten. Er verabscheut alle, die sich keine würdigen Gegner_innen suchen, die hinterhältig sind oder andere umbringen wollen. Fairness, Glück und Gerechtigkeit sind Ideale, die weniger bekannt sind als der durch den Trickfilm bekannt gewordene Spinatkonsum. Bei Popeyes erstem Auftreten wird die Frage nach seiner Identität und damit nach dem in seiner Kontur verdichteten Stereotyp gestellt: Castor fragt, ob er ein Seemann sei und er fragt zurück, ob er denke, dass er wie ein Cowboy aussähe (Popeye, 17.01.1929, Thompson 2006, 27). Ironischerweise verliert sich wie bei Donald Duck und Kapitän Haddock bald diese Bestimmung und er ist ein Seemann ohne Schiff, ein leerer, fluchender Stereotyp.

Popeye reiht sich mit der Frage nach dem Stereotyp in eine Comictradition ein, die von Serien wie Yellow Kid über Krazy Kat bis zu Charlie Brown minderbemittelte Figuren zeichnet, ohne sich über sie lustig zu machen. Die Comicleser_innen lachen nicht über die Figuren, sie lachen mit den Figuren. Denn der Humor der Comics ist niemals einfach. Er entsteht nur in der Serie, in der oft nur durch das Hinzufügen eines Buchstabens die entscheidende, witzige Verschiebung entsteht. »Truth is stranger than friction« (Popeye, 14.09.1930, Thompson 2006, 115). Besser als Popeye kann es keine Analyse der Comics auf den Punkt bringen: Die Reibung zwischen den unterschiedlichen Zeichen, die sich niemals vollständig aufeinander abbilden lassen, erzeugt die Wahrheit der Comics.

Welche Wahrheit aktivieren also Crumb und Kominsky-Crumb in der zitierenden Wiederholung des Glotzauges? Eine Interpretation des Covers von Self-Loathing Comics legt nahe: Die autobiografische Comicfigur ist ein Monster: Jonathan Jones schreibt in einer Besprechung des Bildes:

In the mirror in this picture, Crumb does not see a man, he sees a cartoon character, a monster. This is a troubling application of the art of drawing. The obsessive accuracy of his art makes it the cruellest of mirrors. Crumb sees himself suddenly as nothing but a physical object. He is appalled not just by having his face but any face. (Jones 2000)

Abgesehen davon, dass Jones den Kontext des Covers (und damit vollständig Kominsky- Crumbs Arbeit und vor allem ihr in gewisser Weise nicht weniger monströses Cover – vgl. Precup 2015, 319) außer Acht lässt, ist hier mehrerlei interessant. Zum einen das Motiv des Spiegels, der Spiegelung, die Crumb hier reflektiert und die Jones seltsam einfühlend beschreibt. Dabei spiegelt sich die als Crumb eingeführte Figur nur – was diese Figur sieht, sehen wir nicht, wir sehen zweimal dasselbe Bild. Es geht hier also um eine Distanzierung des Bildes, in dessen Verdoppelung zugleich die Vervielfältigung der Comicfigur selbst reflektiert wird. Auch hier lauert eine Referenz zu Segars Strip. Dort ist an einer Stelle das Spiegelbild gerade nicht zu sehen, aber in gewisser Weise bildet Popeye den Spiegel – und beide Figuren sind überrascht (Abb. 4). Das »But this image–?!?!« ist dabei nicht nur in der dargestellten Situation (das Bild im Spiegel), sondern auf die Darstellung selbst zu beziehen (das Bild als Spiegel). Selbst die Beobachter_innen, die Lesenden, sind verblüfft, »flabbergasted«, wobei Popeye Flabbergasket sagt (Abb. 4), und damit die Dichtung (gasket) ins Spiel bringt, auch in der Schrift spiegelt sich alles nur mit einer Verschiebung. Wie in diesem Strip sind anders als auf dem Cover die Spiegel in Comics oft blind und reflektieren gerade nicht das andere Bild oder sie zerbrechen wie in L’Affaire Tournesol (1956) von Hergé in viele Einzelteile und werden so zur Allegorie der Comic-Panels selbst. Die serielle Bildlichkeit der Comics stellt auf jeden Fall eine eigene Reflexion der Theorie der Wiederspiegelung dar, als die Comics verstanden oder eben nicht verstanden werden können (vgl. auch Hein 1991, 111–112). In Kominsky-Crumbs und Crumbs gemeinsamen Arbeiten wird immer wieder die Frage der Spiegelung thematisiert, die Frage, als welches Bild sie erscheinen. Interessanterweise wie in dem Popeye-Strip erscheint diese Frage nur selten als gezeichnete Spiegelung, sondern meist als Verschiebung. Crumbs I yam what I yam and thass all I yam bezieht sich eben auf viele Darstellungen, die nicht (wie im Spiegel phantasmatisch) identisch sind. Dazu weiter unten. Es ist ein entscheidendes Motiv der Wiederholung.

Abb. 4: E. C. Segar: Popeye, 26.08.1930, in: Thompson 2006, 112.

Auf dem Cover erkennt sich die Figur erst nicht im Spiegelbild wieder. Die Reflektion scheint, wie bei Popeye, einen anderen zu zeigen: »Is that me?« und als würde das Spiegelbild antworten, ist eine zweite Sprechblase abgesetzt, »My god! It is!!«, wobei »me« und »is« etwas größer geschrieben sind. Natürlich geht es hier um ein verdoppeltes Performativ. Die Figur des Covers schaut in den Spiegel und erkennt sich nicht wieder. Das Gesicht hat im Spiegel mehr Falten, es schaut die in den Spiegel schauende Figur so fremd an, als würde sich das Spiegelbild nicht wiedererkennen. Zugleich, so liest Jones die Szene, ist deutlich, dass der »R. Crumb 1994« unterzeichnende, wenn auch ohne spezifische Signatur unterzeichnende, hier ein doppeltes Selbstportrait angefertigt hat, in dem er sich selbst ebenfalls zweifach nicht wiederkennt, oder genau darin sich wiedererkennt, was den Selbsthass des Hefttitels erläutert. Das Bild im gezeichneten Spiegel ist wahr, weil es hässlich ist, weil es eine Karikatur ist – diese Wahrheit ist vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar, die Identität im Comic steht – yam – immer in Frage, aber indem die unterschiedlichen Zeichen (»Me«, »is«, die verdoppelte Zeichnung) miteinander identifiziert werden, bilden sie eine vom Rezensenten Jones als Crumb wiedererkannte Identität, so fragwürdig, brüchig und karikaturesk diese autobiografisch geschildert ist.

Zum anderen, das verbindet sich mit der Fragwürdigkeit der Identität, erscheint die Karikatur selbst, so Jones, als ein Monstrum, monströs: anders monströs, aber eben monströs wie ein einäugiger Seemann. Die Hässlichkeit von Popeye ist, wie gesagt, ein wiederkehrendes Motiv, das ihn als underdog kennzeichnet – und immer wieder der Häme aussetzt: Als Popeye Fanny, in die Castor verliebt ist, küssen will, ruft dieser: »Ya can’t kiss’er«, was nicht moralisch, sondern praktisch gemeint ist: »Your nose is in the way –«, ein Scherz über Popeyes Physiognomie, die Nase (Popeye, 11.4.1930, Thompson 2006, 93).

Abb. 5: Aline Kominsky[-Crumb]: Goldie. A Neurotic Woman, in: Wimmen’s Comix, Nr. 1 (1972), wiederabgedruckt in: Robbins 2016, 40, Panel 1.

Kominsky-Crumb stellt sich in diese Tradition, wenn auch mit einer entscheidenden Verschiebung, weil sie in der Thematisierung ihres Aussehens zugleich den Diskurs zitiert, der ihr als Frau bestimmte Normen des Aussehens aufprägt. Schon in ihrem ersten veröffentlichten Comic Goldie. A Neurotic Woman von 1972 spielt dies eine Rolle (Abb. 5). Im Spiegel erscheint das pockige Gesicht Kominsky-Crumbs wie vergrößert, was zum Eindruck ihrer Monstrosität beiträgt, im Übrigen ein wiederkehrendes Motiv bei Kominsky-Crumb (vgl. Clementi 2012, 7). Crumbs Spiegelbild ist zwar kleiner, aber im Titel des Heftes und in der Situation zitiert er Kominsky-Crumb mit der Verschiebung, der Verkennung. Doch das »Bin ich das?« – erhält durch das Zitat eine weitere Bedeutung: es ist das Selbst, das aber eben nicht nur das Selbst ist, sondern das zitierte Selbst vieler anderer.

Abb. 6: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 253.

Das Monströse wird in einem späteren Comic von Kominsky-Crumb und Crumb aufgerufen. Ihre Figuren diskutieren über Comics, insbesondere die drei Comic-Zeichner Wally Wood, Will Elder und Jack Davis, die alle drei in einem der wichtigsten Verlage der frühen 1950er Jahre, Entertaining Comics, unter anderem zahlreiche Horrorcomics gezeichnet haben (Abb. 6). Dabei äußert Kominsky-Crumbs Figur Kritik an Wood – »It’s funny, he only does dramatic shading on the men’s faces... the women just have great bods« (DT, 252) –, während Crumb nichts auf deren Zeichnungen kommen lässt – »look at the beautiful inking in this old E.C. Comic!« (DT, 253). Während dieser Diskussion wechseln die Figuren wie oft von Panel zu Panel ihr Äußeres. Die Kominsky-Crumb, die den Satz sagt, ist durch Schraffuren konturiert, wie sie die Zeichnerin nie verwendet. Sie wird selbst für einen Moment ein von Wood gezeichnetes Monstrum, von denen die Entertaining Comics zahlreiche in die Comicwelt gesetzt haben.

In der Geschichte Bats in the Belfry (1951) beispielsweise formuliert Jack Davis sein eigenes I yam what I yam and thass all I yam: »I am a Vampire Bat« (Abb. 7, vgl. Frahm 2010, 328). Nicht nur eine Fledermaus, sondern eine Vampir-Fledermaus zu sein ist die Pointe der bizarren Geschichte, in der der Schauspieler Harry Gordon erzählt, wie er gegen seine Taubheit die Ohren von einer Fledermaus hereinoperiert bekommt, die eben nicht nur eine Fledermaus war. Die Comicfigur erkennt sich, die Lesenden aus dem Rahmen des Panels wie in einem Spiegel anschauend, damit sich diese in ihr wiedererkennen können – als Anderen, als unwahrscheinliches Wesen: »Is that me? My god! It is!«. Die Identifikation ist so imaginär wie die Geschichten, doch gerade diese Imagination hat eine bedeutende historische Signatur, denn Geschichten der Entertaining Comics, hier die Tales from the Crypt, lehren ihre Leser_innen nicht nur den Horror verstehen, der eng mit dem nicht lange zuvor beendeten Zweiten Weltkrieg verbunden ist, sondern laden sie auch ein, die eigene Situation in den USA der 1950er entgegen dem Vorort-Mainstream zu entwerfen. Diesen durch den Comics Code 1954 abgebrochenen, in MAD partiell fortgesetzten Entwurf haben die Underground Comics, wie sie Robert Crumb mit Zap Comix seit 1967 und ab 1972 mit Aline Kominsky geprägt hat, noch einmal anders realisiert.

Abb. 7: Jack Davis: Bats in my Belfry, in: Tales From the Crypt, Nr. 24 (1951), 8, Panel 2.

Doch in gewisser Weise bleibt das Unheimliche des Eigenen, das Fremde, das durch den Zeichenstift in seine Aufteilung in Schrift und Bild und deren Serialisierung hervorgetrieben, erhalten. »Well... that was pretty bizarre«, kommentiert die Figur Crumbs die schraffierte Kominsky-Crumb (DT, 253), obwohl diese Wechsel gerade Kominsky-Crumbs, gelegentlich auch Crumbs Vorgehensweise prägen und so die Identifizierung der identischen Comicfigur immer wieder hintertreiben. Dies wird gerne als raw oder sogar bad drawing verstanden (vgl. Precup 2013, 325), aber schon auf der ersten Seite ihres ersten gemeinsamen Heftes wird dies thematisiert (DT, 10). Aline verwandelt sich in einen Tanker mit Judenstern, in dem ein A steht (DT, 27), sie zeichnet sich mit dem Fuß (DT, 55), als Bär (DT, 198) oder Pferd (DT, 250). Das Monströse in der Verbindung mit dem Komischen, das Komische (lustige) und das Komische (seltsame), kennzeichnet ihre Ästhetik des Nicht-Identischen, das in der identischen Reproduktion der gedruckten Hefte entsteht. So sehr Kominsky-Crumb ihre Arbeiten nicht in dieser Tradition sieht, so ausdrücklich sie stattdessen die outsider art und die Kunst der mentally ill als Referenzen anführt (DT, 253), und so offensichtlich sie mit ihrer Produktionsweise eine andere Tradition begründet hat, bleibt sie in der Struktur der Comics, die sie in ihren seriellen Zeichnungen reflektiert, mit dieser verbunden. Entsprechend kann sie im nächsten Panel scherzen, ganz als wolle sie ihre Verbundenheit zur Tradition der Entertaining Comics beweisen, dass ihr nächster Comic A Stick dipped in Blood! heißen könnte (DT, 253).

Repetitious: Die unzuverlässige Wiederholung

Abb. 8: Jack Davis: Bats in my Belfry, in: Tales From the Crypt, Nr. 24 (1951), 8, Panel 4.

Eine weitere Referenz, eine weitere Wiederholung, die Kominsky-Crumb und Crumb genüsslich variieren, bildet die Figur des Paars, die in der Comicgeschichte zahlreiche Versionen kennt, L’il Abner und Daisy Mae, Blondie und Dagwood, Jiggs und Maggie in Bringing Up Father. In Bats in the Belfry bringt der Ehemann seine Frau um, er muss sie umbringen, weil er ein Vampir geworden ist und diesem Drang nicht widerstehen kann: I yam what I yam and thass all I yam (Abb. 8). Der Mann kommt von links nach rechts, von oben nach unten, die Frau fällt, hier auf das Bett (und nebenbei: sein Gesicht ist schattiert, ihres plan). Crumb und Kominsky-Crumb zitieren diesen Bildaufbau gerne (Abb. 9). Crumb sagt, er werde zum »wiyuld animal«, die zahlreichen Bewegungslinien zeigen, dass er von links nach rechts, von oben nach unten über die Frau herfällt und die Bildordnung so erhält. Diese räumliche Anordnung kehrt wieder (Abb. 10) und bestätigt damit einerseits das binäre Geschlechterverhältnis, wie es schon durch Entertaining Comics überliefert ist. Doch in der Wiederholung bleibt es nicht bei diesen Bildern. Der männlichen Wahnvorstellung werden räumliche Umkehrungen oder andere Verhältnisse zur Seite gestellt. »No, me on top«: es ist bemerkenswert, dass die zwei Panel zuvor ganz nackte Aline nun wieder ihr Oberteil (top) trägt und so auch bildlich »on top« ist (Abb. 11). Das Panel, das den Orgasmus der Figur mit fahrenden Zügen und Schweißperlen illustriert, die über den Panelrahmen hinausgehen (»Bunch is comin’«), dominiert die ganze Seite. Es ist damit nicht nur die Umkehrung des Verhältnisses, sondern eine Überschreitung. In der zweiten Szene beißt die Figur Alines einfach zurück und der zuvor dominante Mann scheint in der Geste auseinanderzufallen, wird ganz schmal gegenüber den Rundungen Alines (Abb. 12). Diese Wiederholungen sind kaum zufällig, sondern reproduzieren Muster, bildliche, diskursive Muster, die aber unzuverlässig bleiben, so repetitious sie erscheinen können.

Abb. 9: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 60, Panel 6.

Abb. 10: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 140, Panel 3.

 

Abb. 11: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 61, Panels 1 und 2.

Abb. 12: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 140, Panel 5.

 

Die Stellung der Figuren spiegelt wiederum ein Panel aus derselben Geschichte, neun Seiten zuvor (Abb. 13), in der Popeye direkt zitiert wird: »She looks like Olive Oyle« – und tatsächlich hat ›sich‹ Aline hier sehr schmal gezeichnet.

Abb. 13: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 131, Panel 6.

Doch auf was bezieht sich »She looks like Olive Oyle«? Ist hier Aline Kominsky-Crumb gemeint, die in ihrem Leben der Comicfigur gleich wird? Oder eben die Zeichnung? Auf jeden Fall zitiert das Panel wiederum eines von vielen ähnlichen aus Popeye, zum Beispiel vom 17. April 1931 (Abb. 14).

Abb. 14: E. C. Segar: Popeye, 17.04.1931, in: Thompson 2007, 30.

Auch hier steht der Mann rechts und die Frau links, was Kominsky-Crumb und Crumb schon in dem anfangs diskutierten Beispiel wiederholen (Abb. 1). Hier scheint der Mann jeweils die Serie (oder in dem Panel, in dem Crumb Kominsky-Crumbs Alter Ego ›The Bunch‹ mit »Olive Oyle« vergleicht, sogar die Seite) zu beenden, den Strip wie im Falle Popeyes abzuschließen durch seine aufgerichtete, senkrechte Gestalt, die zugleich als Wiederholung der aufgerichteten weiblichen Figur auftritt – was im Falle von Crumb diesen verzweifeln lässt. In diesem Nebeneinander wird das binäre Geschlechterverhältnis diskursivierbar, in denen die Verhältnisse nicht immer ganz geklärt sind und sich von Panel zu Panel anders darstellen können. Zugleich wiederholt sich die männliche Renitenz, auf die eigene Identität zu beharren und mit ihr im Zweifelsfall Gewalt zu rechtfertigen (Abb. 15).

Abb. 15: E. C. Segar: Popeye, 14.04.1932, in: Thompson 2007, 82.

In diesem Fall hat Olive Oyl dem Seemann vorgeworfen, er sei »a very low form of life«, was dieser mit einer brutalen Geste beantwortet. Wenige Strips zuvor hat er ihr seine unsterbliche Liebe gestanden, nachdem er sie allerdings so geschüttelt hat, dass sie Kominsky-Crumb in dem Panel ähnelt, in dem sie sich über die Unterstellung verwehrt, sie würden sich wiederholen (Abb. 16; vgl. auch Abb. 1).

Abb. 16: E. C. Segar: Popeye, 11.04.1932, in: Thompson 2007, 82.

In dem Panel von Kominsky-Crumb und Crumb verdichten sich die zahlreichen Strips Segars und verschieben diese zugleich in ihrer ironischen Kommentierung. Die Kommentierung thematisiert dabei das Geschlechterverhältnis selbst und dessen Darstellung in den Comics. Kominsky-Crumb und Crumb schreiben sich in diese Geschichte der Comics ein, indem sie diese mit ihren Figuren und deren Referenzialität wiederholen – und mit einer Differenz verdichten und verschieben. Aline ist nicht nur on top, sondern auch underground. Beide wissen um die Performativität der Erzeugung der heteronormativen Geschlechterrollen, wie sie in den Comics reflektiert wird. Sie wissen um deren Bildlichkeit, deren Stereotype und ihren Sexismus, die aber in der Wiederholung, zitiert unzuverlässig werden. Die Wiederholungen der Comicfiguren sind nicht stabil, aber die Dispositive der Macht mit denen die Kontur der Geschlechterverhältnisse als natürliche, auch autobiografische wiederholt wird, stabilisieren sie ständig und suchen zuverlässige Identitäten kontinuierlich erscheinen zu lassen. Kominsky-Crumb und Crumb lassen wenig Zweifel an dem machtvollen Funktionieren dieser Dispositive und zeigen immer wieder, wie sich die Erzeugung ihrer Subjektivitäten innerhalb dieser bewegt. In ihrem letzten gemeinsamen Comic, in dem sie sich über Jack Davis und outsider art austauschen (DT, 253), bereitet Aline ganz in der Rolle der Hausfrau das Essen zu, das Robert, ganz in der Rolle des Ehemanns, lobend verzehrt. Doch wie in dem Panel mit Alines Zeichnung in einer komischen Parodie von Woods Schraffur sichtbar wird (Abb. 6), kann jede Wiederholung der Figur diese anders konturieren. Die Konturen müssen als ähnliche wiederholt werden, um Identität wiederherzustellen, sie zu bestätigen als identische. Es wäre einfach zu behaupten, dass die Identität der Zeichnerin, die diese Zeichnungen produziert hat, eben diese Einheit versichert, aber das würde gerade verblenden, was hier versucht wird.

Ein Grund für die Instabilität der Darstellung wird durch die Überlagerung verschiedener Identitäten gegeben (Abb. 17), denn Aline Kominsky-Crumb ist nicht nur hinsichtlich ihres Geschlechts bestimmt, sondern auch hinsichtlich ihrer Herkunft, was mit keinem »natürlichen Ursprung« verwechselt werden darf (Sina 2019, 455).

Abb. 17: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 35, Panels 3 und 4.

Die beiden Panels zitieren nicht nur zahlreiche Comics von Crumb, für deren Frauendarstellungen er immer wieder und harsch kritisiert wurde, sondern wiederholen auch eines der Motive, die von den Eheleuten immer wieder repetitious wiederholt werden: das Verhältnis zwischen jüdischer Identität und goyischer Identität, welche den Konflikt zwischen den Geschlechtern verdoppelt und hier als Verhältnis von Jüd_innen und Nazis gezeichnet wird (vgl. Sina 2020). Die Verdoppelung des Hakenkreuzes zitiert nicht nur Karl Arnolds Karikatur Heil Preußen! von 1932 (vgl. Platthaus 2016, 193), sondern zeugt dabei von der Temporalität der Annahme dieser Position im Verhältnis zu dem einen Auge der entstellten Aline, die den mit »good local mud« (DT, 35) entstellten Crumb so zugleich spiegelt und nicht spiegelt. Dieses im ersten gemeinsamen Dirty Laundry Comics gesetzte Verhältnis aktualisiert sich durch ihren gemeinsamen Umzug nach Europa (Abb. 18).

Abb. 18: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 128, Panels 2 und 3.

In einem komplexen Doppelbild wechselt nun Crumb die Identität von einem Panel zum anderen und zitiert so die vielen Wechsel des Bildes von Aline Kominsky-Crumb von Panel zu Panel. Die beiden Panels werden durch eine Klage von Crumbs Figur eingeleitet: »Why I ask You... What’s my karma that I got stuck with this – this wandering jew? Musta been a Nazi in my last life« (DT, 128). Diese Vorstellung wird bildlich umgesetzt, die frühere Inkarnation materialisiert sich, um gleich eines der antisemitischen Klischees von Antisemit_innen zu wiederholen: »I’m not anti-semititc! Some of my best wives have been jewish... Ha Ha Ha Seig [sic!] Heil!« Dieses Panel spiegelt sich in der Anordnung der Figuren im nächsten, in dem »Robbie Krumberg« sich selbst »practically« als Jude bezeichnet, um nur das philosemitische Klischee zu reproduzieren, das in den Blocktexten »Host« und »Blood sucking parasite« wiederholt wird, der blutsaugende Parasit ist nämlich die Jüdin. Diese antisemitische Phantasie wird in den nächsten vier Panels weiter diskutiert (Abb. 19).

Abb. 19: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 129, Panels 1–4.

Robert verwandelt sich in einen Farmer, dem eine paranoide Angst vor ›den Juden‹ zugeschrieben wird, die er in der Gedankenblase als »dark oily people« bezeichnet. Die Paranoia schwindet und Robert zeichnet sich als Comicfigur, die Aline fragt, ob das nebenstehende Panel sie kränke. Ihre Sprechblase verneint dies – »It’s a delicate subject« –, um zu »escapist entertainment« zu wechseln, die Verwandlung von The Bunch in »Seargent Buncho«.

Was heißt angesichts dieser Panelfolge I yam what I yam and thass all I yam? Dass alles, was die Identität behauptet nur zu sein, zu wenig ist, dass ihr sein (»I am«) nur als Serie von (Selbst-)Projektionen (»I yam«) existiert. Ich bin nicht nur ein anderer, sondern viele, aber auch diese vielen entkommen der Zuweisung einer Identität, wie der jüdischen, wie der als Frau, nicht, so sehr es möglich sein kann die rollen jeweils wechseln zu können (vgl. Sina 2019).

In der Zusammenschau dieser sechs Panels ergibt sich ein interessantes spiel im Wechsel der Positionen: In der ersten Zeile werden die Figuren Crumbs von Aline eingeklammert, deren Identität vor allem durch ihren Ohrring, der als Friedenszeichen ihre Hippie-Identität unterstreicht, hergestellt wird. Im ersten Panel erscheint sie als »Frida Kahlo«, mit einer Kette, die an ein Malteserkreuz erinnert. In der zweiten Zeile steht Robert im ersten Panel alleine und Aline wird durch die »Jew Paranoia« ersetzt, die sich in mehreren Gedankenblasen äußert. Sie lassen Aline im Dunklen verschwinden. Das wird dadurch betont, dass die Konstellation (links Robert, rechts Aline) im folgenden Panel wiederholt wird. In der nächsten Zeile ist Aline wie in der ersten hier diskutierten rechts, sie bildet mit der ersten Zeile der Seite eine Achse, die wiederum die beiden Figuren Roberts einklammern. Dabei stellt wiederum der Ohrring, das Friedenszeichen die Kontinuität her, die sich retroaktiv durch ihre Figur als Militär erklärt. Eingeklammert wird Robert aber auch durch die Kette, die Aline in dem einen Panel trägt, die statt des Malteserkreuzes nun einen Davidstern zeigt und über die Doppelseite hinweg ebenfalls eine Achse bildet. Die zweite Achse der vier Panels zieht sich von Robert als Farmer zu dem durch ein »Plop!«, eine Wolke und zahlreiche Bewegungslinien angezeigte Verschwinden der Figur Roberts. Beide Achsen überkreuzen sich – in einem Chiasmus. Die beiden rechten Panels (Abb. 19) bilden zudem wiederum ein Spiel zwischen Chiasmus und Vertikalen, wenn Robert durch Seargent Buncho und Aline durch die Wolke ersetzt werden. Die Kette der Ersetzungen wird kommentiert durch die Spiegelungen und Chiasmen. Das Verschwinden Crumbs wiederholt das Verschwinden der Paranoia, was durch die Spiegelung der ›Figuren‹ unterstrichen wird. Die antisemitische Paranoia wird wiederholt, aber in den unzuverlässigen Wiederholungen gleichsam eingeklammert, ohne in ihrer Problematik ermäßigt zu werden. Die Lesenden, Sehenden müssen sie lesen und sehen.

Diese sechs Panels sind von 1992. Nur ein Jahr später veröffentlicht Crumb in der 28. und letzten Ausgabe des von ihm mit ins Leben gerufenen und von Kominsky-Crumb zeitweise mit herausgegebenen Magazins Weirdo die beiden Dreiseiter When the Niggers take over America und When the Goddamm Jews take over America. Dort spielt er die Stereotypen der weißen Mittelklasse von African Americans und Jewish Americans durch. Die rechtsradikale Zeitschrift Race and Reality druckte ohne die Erlaubnis des Zeichners alle sechs Seiten nach und sie finden bis heute unter Rassist_innen im Internet Verbreitung. Es ist sicher zu einfach zu behaupten, dass diese Crumbs Ironie nicht verstanden hätten. Ihre Lektüre liest, was zu sehen ist: Schwarze massakrieren und vergewaltigen Weiße. Juden haben große Nasen und beherrschen die Medien (Abb. 20). Doch dieses Panel setzt fast unmerklich eine ironische Distanz zu der rassistischen bzw. antisemitischen Lektüre: Blocktext und Bild scheinen dasselbe zu sagen. Die behauptete Kontrolle wird in das Bild des Puppenspielers übersetzt.

Abb. 20: Robert Crumb: When the Goddamn Jews Take over America. (Weirdo 28). San Francisco: Last Gasp, 1993, 20, Panel 1.

Aber – es bleibt nicht bei dieser Verdoppelung, die ja die antisemitische Projektion verdichten würde. Im Bild sind zwei ›anglo-teutonische‹ Zuschauer_innen zu sehen, die hoffen, im Fernsehen ›ausnahmsweise‹ die Wahrheit zu erfahren. Aber die Wahrheit lautet, dass diese »Unordnung irgendwie wieder in Ordnung gebracht wird«, wie es die Marionette im Fernseher verspricht.

Wie absurd diese Situation ist, betont darüber hinaus ein Kasten mit einem auf den Fernseher zeigenden Pfeil, der diesen mit zwei pejorativen Worten bezeichnet, als wäre er sonst nicht zu erkennen: »›Boob Tube‹, ›Idiot Box‹ etc.«. Die Anführungszeichen zeigen das Zitat an, mit dem bewiesen wird, dass jede_r weiß, was aber die beiden Fernsehzuschauer_innen scheinbar nicht wissen: dass dem Fernsehen noch die leerste Floskel nicht geglaubt werden darf. In der antisemitischen Lektüre macht sich das Bild über die Menschen lustig, die von der flackernden Flimmerkiste so gebannt sind, dass sie die wahren Machtverhältnisse ›dahinter‹ nicht erkennen. Doch die Anführungszeichen um »›Idiot Box‹« und der Ort des Kommentars machen das ganze Panel zum ›Idioten-Kasten‹, der Bildschirm wiederholt sich im Panelrahmen. Eben dort, wo den Leser_innen unterschwellig ihr Einverständnis versichert wird, zieht in den Anführungszeichen die ironische Differenz ein, die dasselbe zu etwas anderem macht. Wer glaubt, über den Zeichen zu stehen, droht – in dieser Perspektive – immer auch in antisemitische Paranoia zu verfallen. Stattdessen muss diesem Wahn entsprechend mit der größtmöglichen Redundanz scheinbar dasselbe gesagt werden. Erst die Differenz desselben ermöglicht die ironische Distanz, die zur Reflexion der Paranoia wird. Der Panelrahmen wird zum Anführungszeichen, indem die paranoide Wahnvorstellung zitiert und ironisiert wird – und in dieser Ironie, in der unsicher bleibt, wem zu trauen ist, eben den Wahn wiederholt und dessen Mechanismus bloßlegt, so bloß wie dies mit Anführungszeichen möglich ist. Ließe sich darin der Tabubruch bestimmen, den auch Crumb und Kominsky-Crumb ständig vornehmen? Diese Technik wird jedenfalls im geteilten Zeichnen, im gemeinsamen Zeichnen von Kominsky-Crumb und Crumb weiter verkompliziert, indem diese Methode auf die eigenen Biografien und die Konstruktion der eigenen Identität angewandt wird. Damit wird aber – in der unzuverlässigen Wiederholung – das Nicht-Identische betont, das gleichwohl auf derselben, identischen Oberfläche erscheint. Die Wiederholung der Paranoia, der Stereotypen, der Projektion auf die Identität scheint notwendig, das erscheinen als Nazi, als Jude bzw. Jüdin, ist aber kaum stabil, ist notwendig unzuverlässig und wird durch die Mittel des Comics, den zerstreuten Zeichen in der spezifischen Konstellation der Panels auf der Seite reflektiert. Gerade dies kennzeichnet die autobiografische Figur im Comic wie die Grenze von allen identifizierenden Festschreibungen. Sie müssen ermüdend, repetitious sich wiederholen, weil eben die Stereotypen sich ermüdend wiederholen, die ihnen zugeschrieben werden, die sie leben und für sich selbst annehmen mögen, die aber niemals einheitlich sind und gerade darin identitäre Zuschreibungen zersetzen. Doch genau deshalb produzieren sie in ihrer Zeichenhaftigkeit repetitious etwas anderes, yam.

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Bibliographie

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  • Butler, Judith: Bodies that Matter. On the discursive limits of sex. New York/London: Routledge 1993.
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  • Sina, Véronique: »The Good, the Bad, and the ugly«. Obszönität und Tabubruch in den Comics von Aline Kominsky-Crumb. In: Closure. Kieler e-Journal für Comicforschung 6.5 (2020), S. 99–122. <https://www.closure.uni-kiel.de/closure6.5/sina>. 17.07.2020.
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  • Thompson, Kim (Hg.): E. C. Segar’s Popeye. »Well, Blow Me Down«. Seattle: Fantagraphics, 2007.

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 178, Panels 8 und 9.
  • Abb. 2: E. C. Segar: Popeye, 6.11.1929, in: Thompson 2006, 70.
  • Abb. 3: E. C. Segar: Popeye, 14.11.1930, in: Thompson 2006, 124.
  • Abb. 4: E. C. Segar: Popeye, 26.08.1930, in: Thompson 2006, 112.
  • Abb. 5: Aline Kominsky[-Crumb]: Goldie. A Neurotic Woman, in: Wimmen’s Comix, Nr. 1 (1972), wiederabgedruckt in: Robbins 2016, 40, Panel 1.
  • Abb. 6: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 253.
  • Abb. 7: Jack Davis: Bats in my Belfry, in: Tales From the Crypt, Nr. 24 (1951), 8, Panel 2.
  • Abb. 8: Jack Davis: Bats in my Belfry, in: Tales From the Crypt, Nr. 24 (1951), 8, Panel 4.
  • Abb. 9: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 60, Panel 6.
  • Abb. 10: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 140, Panel 3.
  • Abb. 11: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 61, Panels 1 und 2.
  • Abb. 12: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 140, Panel 5.
  • Abb. 13: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 131, Panel 6.
  • Abb. 14: E. C. Segar: Popeye, 17.04.1931, in: Thompson 2007, 30.
  • Abb. 15: E. C. Segar: Popeye, 14.04.1932, in: Thompson 2007, 82.
  • Abb. 16: E. C. Segar: Popeye, 11.04.1932, in: Thompson 2007, 82.
  • Abb. 17: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 35, Panels 3 und 4.
  • Abb. 18: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 128, Panels 2 und 3.
  • Abb. 19: [Kominsky-]Crumb/Crumb 2012, 129, Panels 1–4.
  • Abb. 20: Robert Crumb: When the Goddamn Jews Take over America. (Weirdo 28). San Francisco: Last Gasp, 1993, 20, Panel 1.