Es gibt keine vollkommenen Werke!

Alte Meister rezensiert von Sebastian R. Richter

In Alte Meister von Nicolas Mahler denkt ein weltabgewandter Grübler über die Bedeutung der Kunst im Museum nach. Nachdenken als Vorlage für einen Comic? Es scheint seltsam eine solch starre, verkopfte Begebenheit zeichnerisch umzusetzen, doch die Bilder von Mahler wirken über den Kopf hinaus.

Wie bereits bei seinen vorigen Werken Der Mann ohne Eigenschaften (2013) und Alice in Sussex (2013) überträgt Mahler eine Romanvorlage, in diesem Fall von Thomas Bernhard, auf den Comic. Die sonderbaren Charaktere, wie man sie aus besagten Werken kennt, existieren auch in Alte Meister. Dabei wird der Comic als Massenkunst in Kontrast zu den klassischen Werken der Bildenden Kunst gesetzt. Was macht die Klassiker besser? Eigentlich nichts – das zeigt Mahler im Spiel mit einer hervorstechenden Eigenheit des Mediums Comic, nämlich in gerahmten Bildern eine Geschichte erzählen zu können. Diese beginnt mit der Vorstellung der Figuren: Irrsigler, der Museumswärter, stets in Bewegung und seit 35 Jahren eifrig im Dienst; Reger, ein älterer Herr mit Gehstock, Hut und schwarzer Kleidung, der alle zwei Tage im Bordonne-Saal des Kunsthistorischen Museums in Wien sitzt und auf den weißbärtigen Mann von Tintoretto starrt. Pünktlich um halb zwölf soll sich der einleitende Erzähler, die dritte Figur, mit Reger treffen, weil Letzterer etwas Wichtiges mitzuteilen hat. Warum sich der alte Mann stets im Museum am selben Platz aufhält, wird den Leser_innen erst später verraten. Im Prinzip mag Reger das Museum nicht wegen der Kunstwerke, sondern weil er dort ideale Temperatur- und Lichtverhältnisse vorfindet. Seiner Meinung nach dienten die Alten Meister sowieso nur als »Dekorationsgehilfen der europäischen katholischen Herrschaften.« (63) Kurzum: Er ist ein kauziger Typ mit skurrilen Thesen. Durch Regers Aussagen entfaltet sich Alte Meister zu einer lebendigen Kunsttheorie mit selbstironischer Komponente. Mahler überträgt die niederschmetternden Aussagen Regers hervorragend in das Medium Comic, indem er die Originale karikiert. Zum Beispiel wird das Vollkommene in der Kunst als dicker Papst (Vorbild ist das Porträt Julius II. von Raffael) dargestellt, der den ganzen frame vollkommen ausfüllt (47).

Selbst ein Medium, dem fragmentarischer Charakter zugesprochen wird, veranschaulicht der Comic beispielhaft den Standpunkt Regers, dass Kunst vor allem als Fragment lustvoll sei. Mahler fixiert den Blick auf parodistische Auszüge von Originalgemälden. Er reduziert die Darstellung auf diese Fragmente, rahmt dennoch betont. Mit gelber Farbe (im ansonsten schwarz-weißen Comic) setzt er Schwerpunkte. Diese können sich im nächsten panel jedoch ändern, denn in denselben Bildern platziert Mahler unterschiedliche Betonungen (bspw. andere gelbe Hervorhebungen) und verändert damit die jeweilige Sicht darauf. Jeder wiederholte Blick setzt neue Rahmen: Als Reger erläutert, wie Künstler an der Darstellung von Händen scheitern, skizziert Mahler nur Hände auf weißem Grund, dann erst integriert er diese im folgenden panel in einen Hintergrund. Dort hebt er die Gesichter und männlichen Hände erneut gelb hervor, die auf weibliches Haar und auf eine Brustwarze gerichtet sind; daneben ebenfalls farblich akzentuiert der Anus eines Hundes. Er zeigt hässliche Elemente der hohen Kunst, während Reger in den Textboxen von der Skrupellosigkeit der Künstler philosophiert, deren Scheitern zur falschen Vollkommenheit erhoben worden sei, zur Lüge im Deckmantel des Heiligen. Mit Alte Meister unterstützt Mahler Regers kunsttheoretische Gedanken, indem er sie bildlich macht – allzumal er selbst fragmentiert und brüchig zeichnet.

Das Kreisen um den Rahmen als Fluchtpunkt – Regers Bildphilosophie (37)

Der Geniekult und das Hochheben der Kunst werden als Zeichnungen nach Bernhard von Mahler zusätzlich zerpflückt. Sieht man von den umfangreichen Streichungen des Textes ab, bleibt der Comic nah am Original. Erzählt wird vor allem unterstützt durch Blockkommentare. Diese trennen Bild und Text sehr deutlich, nur in einigen wenigen Sequenzen wird direkt gesprochen. Die Monologe Regers werden von Perspektivwechseln, Wiederholungen und Vorgängen untermalt. Dies suggeriert einen Off-Erzähler, der als Schrift die Zeichnungen rahmt, und beeinflusst den Lesefluss, indem das ständige Kreisen um etwas simuliert wird. Erst als Reger von der ersten Begegnung mit seiner Frau in eben diesen Ausstellungsräumen berichtet, wird deutlich, auf welchen Kern dieses Kreisen zielt. Der Widerspruch Regers, der als eigentlicher Gegner jener im Museum ausgestellten Kunst sich dennoch immer wieder im Museum einfindet, wird dadurch schließlich aufgelöst.

Auch ohne Kenntnis der Vorlage von Thomas Bernhard erzählt sich die (be-)sonder(bar)e Komik des Originaltextes. Mahler führt in seiner Umsetzung des literarischen Anspruchs Bernhards, nämlich Nicht-Sichtbares darzustellen, einen Sachverhalt ad absurdum, der vielleicht häufig übersehen wird: Jede Malerei ist unvollkommen und scheitert daran, als Medium das vermitteln zu wollen, was den Menschen am meisten berührt. »Alles hier im Kunsthistorischen Museum, sagte Reger jetzt, bedeutet uns am Ende, nämlich an dem entscheidenden Punkte unserer Existenz, nichts mehr.« (130) Grübeln über Kunst funktioniert hier auch als Comic, vielleicht auch gerade dadurch.

 

Thomas Bernhard. Alte Meister gezeichnet von Mahler
Nicolas Mahler
Berlin: Suhrkamp, 2015
158 S., 12,00 Euro
ISBN 978-3-518-46579-0