Glasklar

Wonderball rezensiert von Gerrit Lungershausen

Es ist alles glasklar: Während Elvis zusammen mit Hitler am Nordpol sitzt und die Wände des Bernsteinzimmers anstarrt, fliegen die Reptiloiden in ihren Chemtrail-Flugzeugen um den ausgehöhlten Globus. Und wir lesen währenddessen Wonderball, ein nostalgisches Mash-up-Comic, in dem zwar weder Hitler, Elvis oder Reptiloiden vorkommen, das sich aber des Reizes von Verschwörungstheorien bedient.

Im ersten Band (Shooter) der vierteiligen Serie Wonderball führen Fred Duval (A) und Jean-Pierre Pécau (A) sowie Colin Wilson (Z) in die Welt von Inspektor Spaldaccini ein. Dieser ist ein knallharter Typ, und da der Comic in San Francisco 1983 spielt, kommen die Leser_innen nicht umhin, an Clint Eastwood bzw. Dirty Harry zu denken. Colin Wilson (1985-1994; Zeichner von Blueberry) treibt es auf die Spitze: Spaldaccini sieht auch noch aus wie Dirty Harry. Der Fall, den es zu klären gilt, ist geheimnisvoll: Es gibt neun Opfer, die von einem Scharfschützen innerhalb von neun Sekunden erschossen werden. Der Staatsanwalt Robert Archer wird ermordet, nachdem er Spaldaccini, den seine Kollegen ›Wonderball‹ und die Journalisten ›Crazy Cop‹ nennen, über einen Zusammenhang zum Attentat auf John F. Kennedy informiert hat. Und dieses scheint wiederum in einem dunklen Zusammenhang mit Menschenversuchen zu stehen. Verschwörungen allerorts.

Im zweiten Band (Phantom) geht Wonderball seiner Spur nach, unterstützt von einem namenlosen Helfer, der irgendetwas aufdecken möchte, beobachtet von noch namenloseren Schurken, die irgendetwas zu vertuschen versuchen. In der Wüste von Nevada findet Wonderball die Ruinen eines Jugendheims, in dem er früher selbst aufgewachsen ist. Nun ist klar, dass er nicht nur Ermittler dieses Falls, sondern selbst auf unbestimmte Weise darin verwickelt ist.

Der dritte Band ist dem Sheriff Jack Bradigan gewidmet, der neben seinem Brotberuf (to serve and protect) den Wüstensand mit dem Blut harmloser Touristinnen tränkt. Auch er gehört der von Wonderball gejagten Geheimorganisation an, die mittels Menschenexperimenten willenlose Killer gezüchtet hat. Im vierten und letzten Band (Dezember 2017) werden wir erfahren, wie alles ausgeht.

Verfolgungsjagd im Stil der 1970er Jahre in Wonderball.

Die Zeichnungen von Colin Wilson sind brillant und adaptieren das Dirty-Harry-Flair wirkungsvoll für das Medium des Comic. Es gibt keine zeichnerischen Experimente, aber sowohl die imposanten Landschaftsdarstellungen als auch die kontrastreichen Nachtszenen machen die Serie zu einem Hingucker. Mag die Handlung – Verschwörungstheorien, JFK, Nevada – ein wenig überladen scheinen, überzeugt sie in der Lektüre. Dies hat eine Vorgeschichte: Wilson, Duval und Pécau haben bereits in der Serie Tag X (seit 2013) alternative Geschichtsverläufe konstruiert, etwa eine Verlegung des JFK-Attentats in das Jahr 1973 (mit Nixon als Opfer) oder einen anderen Ausgang der Titanic-Katastrophe. Wonderball nimmt sich die Freiheit, alles miteinander zu verknüpfen, und dass die Autoren im zweiten Band sogar Clint Eastwood in einer TV-Talkshow auftreten lassen, ist ein herrlich selbstironisches Augenzwinkern, mit dem sie ihre Konstruktion als wildes Mash-Up aus Verschwörungsquatsch und Filmgeschichte ausstellen. Vielleicht kommt im vierten Band ja noch etwas: Hitler? Elvis? Reptiloiden? Ich werde es mir ansehen.

 

Wonderball #1
Fred Duval (A), Jean-Pierre Pécau (A)
Colin Wilson (Z), Jean-Paul Fernandez (K)
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
Hamburg: Schreiber & Leser, 2017
56 S., 14,95 Euro
ISBN 978-3946337140

Wonderball #2
Fred Duval (A), Jean-Pierre Pécau (A)
Colin Wilson (Z), Jean-Paul Fernandez (K)
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
Hamburg: Schreiber & Leser, 2017
56 S., 14,95 Euro
ISBN 978-3946337157

Wonderball #3
Fred Duval (A), Jean-Pierre Pécau (A)
Colin Wilson (Z), Jean-Paul Fernandez (K)
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
Hamburg: Schreiber & Leser, 2017
56 S., 14,95 Euro
ISBN 978-3946337362