Kunstraub mit Chaos

Olympia rezensiert von Gerrit Lungershausen

Genres erfordern je eigene Formen der Plausibilität: Superheldengeschichten kommen nicht ohne schlüssige Freund-Feind-Konstellationen aus, Liebesgeschichten bedürfen psychischer Glaubwürdigkeit, Kriminalgeschichten leben von einer realistischen Detektion. In dem Heist-Comic Olympia (2017) ist nichts plausibel, außer der Abfolge der Seitenzahlen.

In dieser Geschichte geht es um drei Frauen, die einen Einbruch begehen: Die schwangere Carole, die nymphomanisch veranlagte Alex und die lesbische Sam versuchen, in das Pariser Petit Palais einzudringen, um dort drei Gemälde von kunsthistorischem Weltruhm zu stehlen. Nicht ganz freiwillig, sollte man zu ihrer Verteidigung ergänzen, denn sie werden von einem kunstliebenden Mafia-Paten dazu gezwungen. Und damit sie sich ihrer Aufgabe nicht heimlich entziehen, wird ihnen mit dem sonnenbrillenverglasten Lederjackenträger Toni ein Aufpasser zur Seite gestellt, der das Kunsträuberinnentrio nach Abschluss des Auftrags beseitigen soll. Der Einbruch verläuft zunächst erfolgreich, doch als der Plan von einem Fotoshooting mit Lady Gaga durchkreuzt zu werden droht, reiten die drei auf einem – tief durchatmen – Torpedo durch die Kanalisation nach draußen. Praktisch, dass Toni dort bereits wartet. Ärgerlich hingegen, dass er die drei erschießen soll. Glücklich, dass er sie verschont und sein Leben mit ihnen verbringt. Uff.

Eigentlich ein klassischer Heist-Plot im Stil von Ocean’s Eleven oder The Italian Job, in dem nicht die Detektion des Verbrechens im Mittelpunkt steht, sondern dessen akribische Vorbereitung und vor allem abenteuerliche Ausführung. Die hyperbolische Handlung führt die Leser_innen (wie schon im Vorgänger Die Große Odaliske von 2013) an die Grenzen dessen, was genreteypisch für glaubwürdig erachtet werden kann – und darüber hinaus: Warum muss das Einbrecherinnenteam seine Glasschneidekünste an der Fassade eines Wolkenkratzers üben, anstatt sich beim örtlichen Glaser eine Scheibe anfertigen zu lassen? Woher kommt eigentlich Carole so plötzlich als deus ex machina in einem Motorboot angerauscht, als Sam und Alex in Venedig von Gangstern bedroht werden? Wieso entscheidet Toni sich dafür, die Mafia zu hintergehen und sein Leben der Flucht vor internationalen Verbrechersyndikaten zu widmen? Kurzum: Der Plot ist hanebüchen. Dies geht zu Lasten der klassischen Heist-Elemente, die eine gewisse Plausibilität erfordern. In Olympia gerät die Handlung aber in den Hintergrund, weil weder die Planung des Einbruchs von besonderer Raffinesse ist noch die Durchführung sich um Wahrscheinlichkeit bemüht. Hierin unterschätzt das Autorentrio, Bastien Vivés, Florent Ruppert und Jérôme Mulot die Genre-Relevanz des Plausibilitätsgebots. Dies ist bedauerlich, weil die Zeichnungen, die mit wenigen raschen Strichen auskommen, ähnlich leicht daher kommen wie die Dialoge und insofern Resultat einer adäquaten Stilentscheidung sind. 

Dass der Comic kein völlig unbefriedigendes Leseerlebnis ist, verdankt er der Situationskomik und der unterhaltsamen Dialoggestaltung, etwa wenn die drei Frauen während einer Zugfahrt ihren Begleiter Toni anderen Zuggästen gegenüber ganz freimütig als ihren Entführer bloßstellen. Auch das zwanghaft nymphomanische Verhalten von Alex führt regelmäßig zu grotesken Situationen, die als humoristische Szenen gut funktionieren, aber wenig zum Plot beitragen. Die Figuren haben keine Tiefe, sondern sind bloße Aktanten in einer Handlung, der die Logik abhanden gekommen ist. Dies ist manchmal unterhaltsam, für ein gelungenes Genrestück genügt das aber nicht. 

 

Olympia
Bastian Vivés (A)
Florent Ruppert und Jérôme Mulot
Farben: Isabelle Merlet und Jean-Jacques Rouger
Aus dem Französischen von Annika Wisniewski Kootz
Berlin: Reprodukt, 2017
134 S., 20,00 Euro
ISBN 978-3956401060