Licht und Schatten

Muhammad Ali und Capa rezensiert von Gerrit Lungershausen

Knesebeck übernimmt zurzeit die verlegerische Verantwortung für den deutschen Comicmarkt in den Bereichen Biopics und Literaturadaptionen. Das geht manchmal gut, und manchmal in die Hose: Muhammad Ali von Sybille Titeux und Amazing Ameziane (2016) sowie Capa (2017) von Florent Silloray.

Muhammad Ali war der größte Boxer aller Zeiten – das hat auch Superman einsehen müssen, als die Comicautoren Denny O’Neil und Neal Adams 1978 beide gegeneinander im Boxring antreten und Muhammad Ali diesen als Sieger verlassen ließen. Sybille Titeux und Amazing Ameziane haben sich 2015 dem Stärkeren der beiden Superhelden in Form einer Comic-Autobiografie gewidmet, von der man damals noch nicht wissen konnte, dass sie das wohl letzte Buch über Ali zu dessen Lebzeiten werden sollte. Im Juni 2016 verstarb er.

Die Story folgt den biografischen Stationen des legendären Faustkämpfers, der 1942 als Cassius Clay in Louisville, Kentucky geboren wurde. Als kleiner Junge bekommt er die Erniedrigungen des Rassismus zu spüren und findet durch einen Zufall seinen Weg zum Boxsport. Die kanonischen Etappen der Ali-Hagiografie – sein Olympiasieg 1960 in Rom, das Wegwerfen seiner Goldmedaille, seine religiöse Bekehrung zum Islam und politische Instrumentalisierung durch die Nation of Islam – werden pflichtbewusst abgeschritten, insbesondere die zentralen Kämpfe: gegen Sonny Liston im Februar 1964, der ›Fight of the Century‹ im März 1971 gegen Joe Frazier, der ›Rumble in the Jungle‹ gegen den jungen George Foreman 1974 und der ›Thrilla in Manila‹ erneut gegen Joe Frazier 1975. Die weniger glorreichen Begegnungen zum Ende seiner Karriere, etwa der Fight im Kneipenschlägereistil gegen Leon Spinks 1978 und die umstrittenen Kämpfe gegen Ken Norton werden bestenfalls erwähnt. Nach Alis Karriereende macht der Comic nicht Halt, sondern schreitet die Biografie weiter bis zu dessen Treffen mit Nelson Mandela und der Parkinson-Krankheit durch. Titeux und Amazing Ameziane reichern Alis Lebensgeschichte mit zeitgeschichtlichen Anekdoten (Malcolm X, Barack Obama, Black Life Matters) an und parallelisieren seine Kampfbiografie so mit dem gesellschaftlichen Kampf gegen Rassismus. Inhaltlich ist kaum mit Überraschungen zu rechnen, Alis Leben ist weitgehend popularisiert, seine Kämpfe gehören zum sportgeschichtlichen Allgemeinwissen, sein politisch-gesellschaftliches Nachleben zum Bilderkanon mehrerer Generationen.

Der Comic bricht nicht mit den Interpretationsgewohnheiten der Boxhistoriografie. Was den Comic zu einem gelungenen macht, sind die formalen Entscheidungen der Künstler_innen. Der Status Alis als ›The Greatest of All Time‹ (GOAT) stellt sie vor die Herausforderung, die Darstellung nicht nur zu einem Posterbook seiner größten Momente zu machen, zu einem Daumenkino von Bildern, die wir alle schon kennen. Titeux (Comic-Novizin) und Amazing Ameziane (Bagmen 2013, Clan 2015) gelingt der Spagat, diese poster shots gut einzufangen und dennoch die Möglichkeiten des Comics auszuschöpfen: durch eine Kombination von Handlungssequenzen, schematischen Darstellungen, etwa zur Illustrierung von Alis Stil, und dokumentarischen Elementen. Der Comic lebt keineswegs nur von seinem Gegenstand. Die Seitenarchitektur ist abwechslungsreich, und die oft großformatigen Zeichnungen erweisen sich als Augenfreude, geschickt in ihrem Arrangement, vielseitig in der Perspektivenwahl und dezent in ihrer Kolorierung. Etwas ungewöhnlich ist die persönliche Anredeform, »Du kamst am 17. Januar 1942 in Kentucky auf die Welt«; diese verstärkt den Effekt, hier eine flammende Eloge auf das Performance-Werk eines Sportkünstlers vorliegen zu haben. Aber insofern die Künstler_innen auch kritische Stimmen zu Wort kommen lassen (etwa den unversöhnlichen Joe Louis) und sich nicht ganz und gar darauf beschränken, Muhammad Alis Selbstmarketing blind zu folgen, bekommt sein Heiligenschein leichte Schatten. Ganz leichte. Sybille Titeux und Amazing Ameziane ist es gelungen, eine berührende Lebensgeschichte so darzustellen, dass Ali-Kenner sich nicht langweilen und Comic-Ästhet_innen nicht das Gefühl bekommen, hier werde brav heruntererzählt. Muhammad Ali ist ein sehr gelungenes Beispiel für einen biografischen Comic. Capa von Florent Silloray ist dies keineswegs.

In Capa geht es um den ungarisch-amerikanischen Kriegsfotografen Endre Ernö Friedmann, der unter dem Künstlernamen Robert Capa berühmt wurde. Der Comic setzt 1936 ein, als Capa gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Gerda Pohorylle in Paris weilt und seine Karriere mit einer Lüge einleitet: Seine Fotos seien tatsächlich diejenigen eines amerikanischen Touristen, Robert Capa – ein kleiner Marketing-Trick mit großem Effekt, denn die Zeitungen interessieren sich plötzlich für dessen Aufnahmen. Capa reist nach Spanien, um den Spanischen Bürgerkrieg zu dokumentieren, und dabei entsteht sein erstes spektakuläres Foto, Loyalistischer Soldat im Moment des Todes. Dieses begründete seinen Ruf als furchtloser Kriegsfotograf, der stets dicht am Geschehen war, getreu seinem eigenen Motto: »Wenn deine Bilder nicht gut sind, warst du nicht nah genug dran.« (4) Er begleitet die Tour de France (1939), Ernest Hemingway (1940), amerikanische Truppen in Afrika (1940) und den D-Day in der Normandie (1944). Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt eine Zeit mit nur wenigen Höhepunkten, einem Kriegsfotografen ohne Krieg. Und der nächste Einsatz im ersten Indochinakrieg wird schon sein letzter sein: Am 25. August 1954 stirbt er durch eine Landmine.

Die Panels sind durchgehend in Sepiatönen gehalten und suggerieren den Eindruck alter Fotografien. Das ist eine nachvollziehbare Entscheidung, macht den 86-seitigen Comic aber auch zu einem unfassbar eintönigen Leseerlebnis ohne große Perspektiv- oder Einstellungswechsel, ohne überhaupt den Versuch, Handlung in Bildern einzufangen. Denn hierfür sind die Captions zuständig, die wie ein fortlaufender Text die Story vorantreiben, während die Bilder zu nebensächlichen Illustrationen werden. Diese omnipräsente Erzählerstimme macht die visuelle Ebene überflüssig. Die Story hat keinen Plot außer einer Nacherzählung der Biografie, keine Höhe- oder Wendepunkte, sie hat nur einen Anfang und (gottseidank) ein Ende. Nicht einmal das umstrittene Foto Loyalistischer Soldat im Moment des Todes wird so hervorgehoben, dass man die jahrzehntelange Diskussion um deren Authentizität nur erahnen könnte. Capas Fotografien vom D-Day gehen im Comic unter wie Abbildungen vom Abendessen mit den Schwiegereltern. Es ist alles gleich, und leider alles gleich öde.

 

Muhammad Ali
Sybille Titeux (W), Amazing Ameziane (W)
Aus dem Französischen von Anja Kootz
München: Knesebeck, 2016
120 S., 24,95 Euro
ISBN 978-3868739336

Capa
Die Wahrheit ist das beste Bild
Florent Silloray
Aus dem Französischen von Anja Kootz
München: Knesebeck, 2017
88 S., 22,00 Euro
ISBN 978-3957280671