Religion in verschiedenen Farben und Formen

Comics – Bilder, Stories und Sequenzen in religiösen Deutungskulturen rezensiert von Jana Hanekamp

Mit Comics – Bilder, Stories und Sequenzen in religiösen Deutungskulturen haben Jörn Ahrens, Frank T. Brinkmann und Nathanael Riemer einen vielschichtigen Sammelband zum Thema ›Comics und Religion‹ herausgebracht.

Die Begriffe Comics und Religion besitzen ein weitreichendes Spektrum, sich mit beiden Themen gleichzeitig zu befassen, scheint anhand der Vielzahl von unterschiedlichen Religionen und Comics ein wahnwitziger Geistesblitz zu sein. Liest man den Klappentext auf der Rückseite, wird schon deutlich, worum es hier eigentlich gehen soll: Die drei Herausgeber schreiben, dass Comics in der heutigen Zeit einen festen Bestandteil einnehmen und durch ihre vielfältigen Geschichten auch eigene Mythen, Ikonen und Held_innen geschaffen haben. In ihrem Sammelband wollen sie darüber hinaus auf die verschiedenen Arten der Rezeption von Religion im Comic hinweisen. Dafür haben sie eine inhaltliche Unterteilung in vier grobe thematische Schwerpunkte unternommen: (Spätmoderne Versuche zu) Messiasmetapher, Open-Source-Religion und Neomythos; New Concepts of Modern Mutants, Mortal Heroes and Mighty Gods; Islamische Kulturen, Helden, Codes und Comics; Utopien, Heteropien, Dystopien.

Zunächst beginnen Ahrens, Brinkmann und Riemer mit einer Einleitung, in der es hauptsächlich darum geht, in welchem Zusammenhang und in welcher Beziehung Religion und Comics stehen. Bis in die 1960er Jahre besaßen Comics eher den Ruf von Schundliteratur, die dafür verantwortlich gemacht wurde die Jugend zu verderben und Dyslexie hervorzurufen. Damals wurden Comics und Religion nicht im gleichen Atemzug erwähnt, geschweige denn darüber nachgedacht, beide auf irgendeine Weise in Verbindung zu bringen. Es gab zwar Religion in Comics, diese besaßen dann jedoch eher missionarischen Charakter.

»Auf solcherlei Tatbestände – nämlich die Reputationsschwäche des noch weitestgehend unverstandenen Mediums, die dogmatisch-positivistische Engführung des Religionsbegriffes und die populistisch-triviale Einbindung religiösen Basismaterials in umstrittene Erzählformate – ließ sich zunächst nur verhalten reagieren.« (7)

Somit sind die Weichen gestellt. Religion war zwar in Comics vorhanden, wohl aber nur um ein jüngeres Publikum anzusprechen und auf diese Art und Weise zu belehren. Jegliche andere Form einer Verbindung war verpönt. Fraglich ist dabei auch, ob ein so ernsthaftes Thema wie die Religion denn überhaupt Visualisierungen von Frömmigkeit übernehmen soll, ob es in der populären Kultur dargestellt werden kann und ob das Bilderverbot Religion im Comic erlaubt. In der Popkultur wurden religiöse Themen gerne so verändert, dass sie als solche nicht wahrnehmbar waren oder man bediente sich nicht der christlichen Religion, sondern eher nordischer und griechischer Gottheiten. Dadurch vergrößerte sich das Überschneidungsgebiet von Comics und Religionen und ab den 1970ern erkannten Theologen_innen, dass für einen religiösen Diskurs durchaus neue Publikationsformen herangezogen werden müssen, um weiterhin relevant zu bleiben. Je mehr sich damit auf anderen Ebenen auseinandergesetzt wurde und je mehr der Comic religiöse Themen auf vielfältige Art für sich beanspruchte, desto stärker wurde deutlich, dass Religion auf verschiedene Weise darstellbar ist, als »eine (religiöse) Botschaft nämlich, die an das Publikum gerichtet war, eine intendierte Funktion, was ein Comic bzw. eine bestimmte Comicstory (religiös) zu leisten habe – und eine Strategie, die darin besteht, religiös lesbares Material einzusetzen!« (9) Von da an wurde versucht, Religion im Comic didaktisch zu vermitteln und in Schulen als Lehrmittel einzusetzen. 

Mit Linus Hausers Auseinandersetzung mit der Comicerzählung Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit von Serge Le Tendre und Régis Loisel, die zwischen 1983 und 1987 erschien, und wendet die Begriffe des Neomythos und des Retromythos darauf an, beginnt der Band und der erste thematische Block. Der Terminus Neomythos ist von Hauser selbst definiert und meint, dass es sich hierbei um »ein kulturelles und individuelles Sich-Beziehen auf Endlichkeit ohne Bewusstsein ihrer Radikalität und im Bewusstsein der realen Aufhebung derselben durch das Handeln des Menschen oder andere endlicher Mächte« (24) handelt. Dass es in diesem Comic aber nicht nur neomythische Elemente gibt, zeigt Hauser mit der Antwort Michael Novins auf. Novin hat den Begriff des Retromythos entwickelt: »aus einem kritischen Reflexionsvollzug erwachsenes, anschauliches, kulturelles und individuelles Sich-Beziehen auf Endlichkeit im Bewusstsein ihrer Radikalität und im Bewusstsein der Grenzen menschlich-technischen Fortschrittvollzugs.« (25) Hauser wendet diese Begriffe auf die Narration des Comics an und interpretiert ihn auf diese Weise.

The unwritten ist Schwerpunkt in Frank Thomas Brinkmanns Beitrag zur Messiasmetapher. Die Comicreihe erschien 2009-2015 im DC Verlag Vertigo und stammt von Mike Carey (W) und Peter Gross (P). Hauptfigur ist Tom Taylor. Sein Vater, der Autor Wilson Taylor, entwickelte die Romanfigur Tommy Taylor, die auf seinem Sohn basiert. Als Inspiration für diese Storyline diente die Geschichte von Christopher Milne, der als Charaktervorlage für Christopher Robin in den Büchern seines Vaters A. A. Milne über Winnie the Pooh gilt. Durch die Parallelen der Leben von Tom und Tommy wirft der Comic immer wieder die Frage auf, ob die Figuren wirklich leben oder ob sie immer nur Teil einer Geschichte von jemandem sind. Brinkmann legt die komplexe Vielschichtigkeit dieser Erzählung in seinem Aufsatz beeindruckend dar. Zur Messiasmetapher lässt sich der Johannes-Prolog als Referenztext oder Prolog lesen, in dem auch ein Autor etwas in die Welt schreibt, »was Gestalt annehmen und an Bedeutung gewinnen soll, um die (falsch) Lesenden und (schlecht) Sehenden in das rechte Licht zu stellenund von bestimmten bedrohlichen Lesarten, Deutungen und Sichtweisen zu erlösen«(55). Ähnlich verhält es sich auch mit dem Autor Wilson und der Figur des Tommy.

Cyberpunk und ›Open-Source-Religion‹ in Douglas Rushkoffs Testament  – erschienen zwischen 2006 und 2008  – sind die thematischen Schwerpunkte von Thomas Hausmanninger. Hausmanninger beschreibt Religion als ein historisches und evolutionäres Phänomen, das erst an einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit eintritt. Der Comic handelt von künstlicher Intelligenz und dem Missbrauch ebendieser. Ihr gegenüber stellt sich eine Gruppe von Hacker_innen. Neben dem christlich-fundamentalistischen Fernsehprediger Reverend Comfort gibt es auch andere religiös geprägte Figuren, so spielen Astarte, Moloch, Aton-Re, Krishna, Marduk, Melchisedek und Elijia eine Rolle. Diese Götter_innen aus unterschiedlichen Religionen konkurrieren um die Menschen und versuchen sich über deren Glauben Zutritt zur Realität zu schaffen. Auch biblische Erzählungen werden in die Geschichte miteingewoben. Hausmanninger kommt zu dem Schluss, dass das Projekt ›Open-Source-Religion‹ in Testament von allen für alle getragen werden muss. Und das Konzept Rushkoffs eventuell in der Realität umgesetzt werden kann, auch wenn der Gedanke bis jetzt noch utopisch erscheint.

Den nächsten thematischen Block bilden New Concepts of Modern Mutants, Mortal Heroes and Mighty Gods. Hier werden vor allem die ›klassischen‹ Superhelden, die weitreichende Bekanntheit erfahren, untersucht. Nathan Gibbard widmet sich den unterschiedlichen Spiritualitäten der Charaktere aus Ultimate X-Men, bzw. ihrer Abwesenheit. Denn im Gegensatz zu den traditionellen X-Men, werden in Ultimative X-Men die religiösen Identitäten  hauptsächlich weggelassen. Dennoch gibt es auf der Mikro- und Makroebene religiöse Elemente. Zum Beispiel werden Magneto und Charles Xavier sowie ihre jeweilige Anhängerschaft wie Kulte dargestellt, deren Ideologien sich antagonistisch gegenüberstehen. Da Ultimate X-Men von verschiedenen Autor_innen stammt, geht Gibbard des Weiteren auch auf die Unterschiede in deren Verwendung von religiösen Motiven ein.

Danielle Reids Text Apotheosis of the Batman? nimmt sich des Comics Batman – Return of Bruce Wayne von 2010 in Bezug auf Symbolismus und Allegorien an. Bruce Wayne tritt hier in fünf verschiedenen Storylines auf, die zu verschiedenen Zeiten spielen, quasi eine Art Zeitreise. Wie Reid schreibt, wird durch diese Reise durch die Zeit die Bedeutung des Charakters Batman als Symbol, Legende und mythologische Person deutlich gemacht. Sie kommt zu dem Schluss, dass es für Batman keine Apotheose geben kann, weil er dann nicht mehr Batman sein kann. Ein signifikanter Punkt dieses Superhelden ist nun einmal seine Sterblichkeit, die ihm durch die Apotheose genommen werden würde. Trotzdem: er bleibt eine zeitlose Ikone.

Tim Lanzendörfer setzt sich mit dem 1996 publizierten Comic Kingdom Come von Mark Waid und Alex Ross auseinander. Hierbei geht es vor allem darum, inwieweit Superheld_innen wie Superman, Wonder Woman und Green Lantern als Gött_innen bezeichnet werden können, die man um Rettung anbetet. Weiterhin geht er auf die soziale Verantwortung der Superheld_innen ein. Gleichzeitig kritisiert er an Kingdom Come, dass sich der Comic nicht mit Repräsentationen von Gött_innen oder Religionen auseinandersetzt, sondern sie nur salopp in die Narration einfließen lässt.

Der dritte thematische Schwerpunkt befasst sich mit islamischen Kulturen. Nathanael Riemer bietet einen weiten Überblick über religiöse und religiös inspirierte Comics. Dabei geht er darauf ein, ob solche im Islam überhaupt möglich sind. Danach stellt er einige Künstler_innen und Comics vor, um dann am Ende diese Werke zu analysieren. The Notion of Comics in Iran ist ein Beitrag von Esfandiar Esfandi, Andisheh und Anoosheh Ghadari, der sich mit den Anfängen der Szene ebendort beschäftigt. Zunächst erschienen dort nur Übersetzungen ausländischer Comics und Religion war vorerst kein Thema in eigenständigen iranischen Publikationen. Des Weiteren behandeln sie auch die Geschichte religiöser iranischer Comics. Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen, sticht dieser vor allem durch seine vielseitigen Beispielillustrationen heraus. Superman in Mekka ist der letzte Teil dieses thematischen Schwerpunktes. Rocío A. Aúz García und Tobias Lotter gehen auf Superheld_innen ein, die einen islamischen Hintergrund besitzen. So zum Beispiel die Neugestaltung der Ms. Marvel, die nun Tochter pakistanischer Einwanderer ist. Sie untersuchen einige interessante Beispiele veränderter Superheld_innen und neuentwickelte Charaktere, die eine (neue) religiös geprägte Identität angenommen haben, wie z. B. Dust und Green Lantern, und welchen Stellenwert diese dann innerhalb der Erzählung einnimmt.

Utopien, Heterotopien und Dystopien beenden diesen Sammelband. Jörn Ahrens sieht in Metropol von Ted McKeevers eine Auseinandersetzung mit der apokryphen Geschichte des Propheten Henoch, die auf die moderne Welt übertragen wird. Aber nicht nur das, sondern das Superheldengenre selbst wird übernommen und transformiert. Hauptthema ist der alte Kampf zwischen Gut und Böse in einer apokalyptischen Darstellung. Religiöse Themen und Motive werden hier – wie Ahrens schreibt auch in der Popkultur – als Requisite verwendet. Michael Cuntz begibt sich auf die Spuren des Religiösen und Heiligen in Manu Larcenets Blast. In diesem umfassenden Beitrag geht es um die Statuen und den Ahnenkult auf der Insel Rapa Nui. Bei der Bearbeitung seines Themas verweist er u. a. auf die Serie True Detective - wenn es um einen Widerstreit der Perspektiven und einer ähnlichen Ausgangssituation in einem Verhörraum geht - und den französischen Autor George Bataille, dessen Beschreibung des Heiligen als Inspiration für die Blasts dienen. Deren Kern ist bei beidem die Erfahrung der Transgression. Anthony Santoros Beitrag zu The Walking Dead beendet den Band. Strukturen von Gesetz und Gesellschaft in diesem Comic sind Hauptaspekte seiner Bearbeitung. Die Welt in der The Walking Dead spielt ist eine apokalyptische. Nachdem Zombies die Menschheit überfallen und teilweise ausrotten, gelten die vorherigen Gesetze nicht mehr. Santoros beschäftigt sich nun damit wie Religion und Gesetz in dieser Welt im Zusammenhang stehen und wo sich religiöse Ansätze im Handeln vermuten lassen.

Die Autor_innen haben mit diesem Band bewiesen, auf welch vielfältige Art Religion und religiöse Kontexte in Comics eingesetzt werden können. Interessant ist bei der Auswahl der Texte, dass man diese beim Thema ›Comics und Religion‹ teilweise gar nicht erwartet hätte. Die erste Assoziation beim Blick auf den Titel könnte die ausschließliche Auseinandersetzung mit religiösen Comics sein und Religion daher das Hauptthema in den herangezogenen Beispielen.  Aber die Autor_innen zeigten ein ganz anderes Bild: Religiöse Motive, Charaktere und Narrationen, die in die einzelnen Comics eingewebt werden, Protagonist_innen mit religiöser Identität oder religiöse Interpretationen eines nicht-religiösen Themas wie beim Batman-Comic. Religion selbst wird wahrscheinlich immer ein Teil der Menschheit sein, der jeden mehr oder weniger betrifft, ob man sich nun davon distanziert oder aktiv daran teilnimmt, bleibt jedem selbst überlassen. Dennoch stößt man immer wieder auf religiöse Kontroversen und Unverständnis, wenn z. B. Superheld_innen den muslimischen Glauben annehmen. Sobald in Comics bestimmte Religionen diffamiert werden, wird deutlich, welche Rolle Religion im Alltag spielt und dass es Teil unserer Kultur ist. Als Ardian Syaf antichristliche und antisemitische Botschaften in eine neue X-Men-Reihe von Marvel einbaute, war die Empörung darüber natürlich groß. Gerade diese Verknüpfungspunkte von Religion und Comic zeigen, wie aktuell diese Thematik ist. Gerade deshalb ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung beider Schwerpunkte. Dieser Band richtet sich an Theolog_innen, Comicinteressierte, Kulturwissenschaftler_innen und generell an alle, die sich schon immer mit dem Thema beschäftigen wollten.

 

Comics – Bilder, Stories und Sequenzen in religiösen Deutungskulturen
Jörn Ahrens, Frank T. Brinkmann, Nathanael Riemer (Hg.)
Wiesbaden: Springer VS, 2015
355 S., 49,99 Euro
ISBN 978-3-658-01428-5