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›Vorbilder und Rollenklischees‹
Interview mit marialuisa von der Comic-Anthologie Spring

Spring ist eine jährliche Anthologie, in die nur ZeichnerINNEN aufgenommen werden. Julia Ingold von der CLOSURE-Redaktion führte mit der freien Zeichnerin marialuisa ein Gespräch über die Geschichte des Magazins, über Feminismus und vor allem über die aktuelle Ausgabe. Spring #13: The Elephant in the Room ist unter dem Arbeitstitel ›Role Models‹ aus der Zusammenarbeit von acht indischen und acht deutschen Zeichnerinnen entstanden.

Du bist seit der ersten Ausgabe von Spring dabei, erzähl mal!
Gegründet wurde Spring 2004 von uns Absolventinnen und Studierenden der HAW (Hochschule für angewandte Wissenschaften, Hamburg). Schon beim zweiten Heft kamen auch Zeichnerinnen aus anderem Städten und anderem Hintergrund dazu, zum Beispiel moki, die zu dem Zeitpunkt noch an der HFBK (Hochschule für bildende Künste, Hamburg) studierte. Es kannte immer jemand eine andere gute Zeichnerin, die sie zum Mitmachen bewegen wollte und so wurde das Team schnell größer. Viele haben aber auch nur bei einem einzigen Heft mitgemacht oder pausieren einige Zeit, um dann wieder dazu zustoßen. Besonders ist bei uns, dass es keine Leitung gibt. Wir entscheiden alles gemeinsam, vom Thema, über den Titel bis zur Farbe und dem Papier der Ausgabe. Das heißt per Abstimmung. Das ist für uns die beste Lösung, manchmal natürlich auch besonders anstrengend.

Die aktuelle Ausgabe von Spring entstand aus einer Zusammenarbeit von indischen und deutschen Zeichnerinnen.

Also arbeitet ihr basisdemokratisch.
Ja genau, wir entscheiden alles gemeinsam, haben aber Aufgabenbereiche in ›Ministerien‹ aufgeteilt. Bis wir mit dem mairisch Verlag zusammengearbeitet haben, habe ich mich zum Beispiel um den Versand gekümmert. Wir sind sehr froh, dass wir solche Aufgaben abgeben konnten, da es ein Verlag sehr viel professioneller angehen kann. Andere ›Ministerien‹, die immer noch in unserer Hand sind, sind zum Beispiel für die Organisation der Anzeigenakquise, das Pflegen unserer Internet- und Facebookseite, die Pressearbeit oder für Steuern und Finanzen zuständig. Das Layout des Heftes, die Übersetzung ins Englische und das Lektorat haben wir inzwischen ebenfalls in andere Hände gegeben.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem mairisch Verlag?
Die Zusammenarbeit hat sich durch Kontakte ergeben. Sie erleichtert uns die Arbeit sehr. Jetzt kümmert sich der mairisch Verlag um den Vertrieb. Unser erstes Heft in dieser Kooperation, Spring #12 aus dem Jahr 2015 war dann innerhalb von kürzester Zeit ausverkauft. Das hat uns selbst überrascht.

Spring versteht sich, soweit ich das sehe, als feministisches Projekt.
Ich selbst würde es mir nicht anmaßen, es so zu bezeichnen. Dazu habe ich einen zu großen Respekt vor anderen, wirklich feministischen Projekten. Wir wollten vor allem Zeichnerinnen sein, das Thema ›Frau-Sein‹ stand bei uns lange nicht im Vordergrund. Bei diesem Heft war es aber mal fällig.

Gibt es Kritik an Spring, weil nur Frauen mitmachen dürfen?
Kritik nicht so richtig, aber wir werden oft von Männern belächelt. In allen anderen Comic-Anthologien haben Männer die Leitung. Manche Männer haben auch schon zickig reagiert, wenn sie sich beworben hatten und wir sie abgelehnt haben.

Hat Spring etwas bewegt in der deutschen Comic-Szene?
Seit der ersten Ausgabe von Spring hat sich in der deutschen Comic-Landschaft sehr viel getan. Es gibt jetzt viele Autorinnen, die mit ihren Graphic Novels bekannt geworden sind, zum Beispiel Barbara Yelin und Ulli Lust. Ich weiß aber nicht, ob Spring dazu wirklich entscheidend beigetragen hat.

Wie kam es zu dem Projekt in Indien?
Zwei von uns, Ludmilla Bartscht und Larissa Bertonasco, haben zusammen mit Priya Kuriyan vor ein paar Jahren in Kooperation mit dem Goethe-Institut einen Comic-Workshop in Neu-Delhi gegeben. Auf Idee von Larissa hin, wollten wir daran anknüpfen. Dieses Mal wollten wir aber nicht unterrichten, sondern auf Augenhöhe mit indischen Zeichnerinnen eine Ausgabe von Spring erarbeiten. Das Konzept hat Larissa erarbeitet und dafür das Goethe-Institut wiedergewinnen können. Acht Zeichnerinnen von Spring konnten sich mit acht indischen Zeichnerinnen in Indien treffen.

Wie habt ihr die indischen Zeichnerinnen gefunden?
Priya Kuriyan, die schon an dem Workshop beteiligt war, hat die indischen Zeichnerinnen für die Mitarbeit vorgeschlagen.

Wie waren die Zeit und die Zusammenarbeit in Indien dann schließlich für dich?
Es war ein ganz wundervoller Ort. Wir waren in einer Autorenresidenz auf dem Gelände einer Tanzakademie für klassischen indischen Tanz in der Nähe von Bangaluru untergebracht. Es war dort sehr ruhig. Es war auch sehr wichtig, dass wir dort waren, weil wir persönlich und konzentriert diskutieren konnten. Diese Diskussionen liefen von Anfang an auf hohem Niveau. Es waren sehr gute Zeichnerinnen zusammengekommen, mit zum Teil viel Erfahrung. Es hat aber etwas gedauert bis wir zwischenmenschlich ganz ›warm‹ miteinander wurden. Ich persönlich habe mich zuerst etwas gewundert, dass die indischen Kolleginnen permanent den Eindruck vermitteln wollten, dass sich ihre Situation nicht sehr von unserer in Deutschland unterscheidet. Erst später, im Laufe der Gespräche haben sie dann von der schwierigen Situation für Frauen in Indien berichtet. Allerdings haben wir nicht sehr viel über ihren Alltag gesprochen und ob sie als freie Künstlerinnen leben können. Ich glaube, das lag auch wieder an der Angst vor Vorurteilen.

Du meinst also, dass sie westliche Stereotype über Indien kennen. Und sie hatten Angst, diese zu bestätigen?
Ja genau, das ist gut gesagt. Das war mein Eindruck.

Wie sah das gemeinsame Arbeiten aus?
Die vielen, unterschiedlichen Blicke und Meinungen zu den Arbeiten waren natürlich extrem interessant, in den Gesprächen und auch später in den vielen e-Mails in der heißen Phase kurz vor der Abgabe. Auffällig war allerdings, dass die indischen Kolleginnen es nicht gewohnt zu sein scheinen auch mal negative Kritik zu geben. Sie haben die Arbeiten, die gezeigt wurden nur gelobt oder sich nicht dazu geäußert.

Habt ihr euch daran angepasst? In deutschen Arbeitsgruppen wird ja viel diskutiert und kritisiert.
Nein, ich glaube nicht, wir haben uns verhalten wie immer.

Wie sieht so eine Diskussion denn aus? Sagt man dann wirklich: ›diese Story versteht man noch nicht ganz‹ oder ›hier sind die Farben wirklich toll‹?
Ja genau so eigentlich, man erklärt seine Projekte und Zeichnungen und die anderen geben dann direktes Feedback. Oder teilen ihre Assoziationen zum Thema mit, die vielleicht hilfreich sind. Wir haben manchmal mit allen 16 Teilnehmerinnen diskutiert, oft aber auch in viel kleineren Gruppen gearbeitet.

Also seid ihr unter dem Thema ›Frauen in ihrer Gesellschaft oder im Alltag‹ zusammengekommen und habt schon Ideen mitgebracht?
Das Thema war eigentlich ›rolemodels‹ mit dem doppeldeutigen Sinn, Vorbilder und Rollenklischees. Die besten Comics sind vielleicht die, die ein großes Thema an einer alltäglichen Geschichte verhandeln. Ich finde Reshu Singh hat das zum Beispiel sehr schön gelöst in ihrem Comic über ihre Großmutter. Das kleine Mädchen in dem Comic findet heraus, dass ihre Großmutter, die es sehr bewundert, lieber Jungs als Enkel hätte. Das Gesicht der Großmutter füllt eigentlich die ganze Seite, ist aber durch die weißen gutter zerstückelt. Das Idealbild, das sich das Kind von der Großmutter gemacht hatte, löst sich auf und muss neu zusammengesetzt werden.

Die kleine Reshu Singh muss das zerbrochene Idealbild ihrer Großmutter neu zusammensetzen.

Wie ist aus all dem die aktuelle Ausgabe entstanden?
Hier entscheiden wir immer gemeinsam, was abgedruckt wird. Das ist dieses Mal viel über e-Mails gelaufen. In Indien haben wir gemeinsame Konzepte und Entwürfe erarbeitet. Manche kamen schon mit konkreten Vorstellungen, andere wussten noch nicht, was sie machen wollten. Die eigentlichen Beiträge sind danach ausgearbeitet worden. Wir haben uns auch ›Unter-Themen‹ gesucht, zum Beispiel Geschichten über ›Bra‹, ›Working women‹, ›Penis-issues‹ oder ›Motherhood‹. Da sind Ideen für viele kleine Strips entstanden. Ein paar davon haben wir auch in das Heft aufgenommen.

Ist Spring #13 in Indien erhältlich? Wird es dort wahrgenommen?
Es wird bei dem indischen Verlag Zubaan erscheinen. Die Verträge sind unterschrieben. Die Verlegerin Urvashi Butalia hat uns auch in der Autorenresidenz besucht und mit uns unter anderem über den Titel diskutiert, der zu dem Zeitpunkt noch nicht fest stand.

Wie war es für dich als Frau in Indien?
Ich kann das gar nicht so richtig sagen, weil wir in der Residenz sehr behütet waren. Wenn wir ins Dorf gegangen sind, waren wir als Ausländerinnen sowieso eine Attraktion.

Hat deine Erfahrung in Indien deine Sicht auf die Situation von Frauen oder Feminismus verändert?
Ich weiß nicht. Ich bin vielleicht nicht tief genug in die indische Kultur eingetaucht, um darüber Aussagen machen zu können. Mir ist aber sehr viel über die Situation in Deutschland klargeworden.

Hat das für dich praktische Konsequenzen?
Ich bin schon ins Nachdenken gekommen, aber wie sich das auf die Praxis auswirken wird, kann ich nicht sagen.

Für mich war Spring immer ein wichtiges feministisches Projekt, weil es die Sichtbarkeit von Zeichnerinnen erhöht. Strapazin zum Beispiel hat alle paar Jahre eine Frauen-Ausgabe, ansonsten dominieren dort aber die Zeichner.
Das ist super interessant zu hören, auch sehr schön. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Wir haben immer einfach gemacht.

Ich würde gern noch über eine konkrete Stelle in Spring #13 sprechen. Am Anfang ihres Beitrags thematisiert Kruttika Susarla ihre Unsicherheit. Sie spricht von »strong women« und fragt sich: »Will they approve?« Ich dachte immer, in einer Gruppe von Frauen ist man in so einer weiblichen Blase ohne männliches Konkurrenz-Denken.
Jede Gruppe hat ihre Schwierigkeiten und ihre Dynamiken, auch wenn sie nur aus Frauen besteht. Hier glaube ich aber, dass dieser Anfang eher eine Stimmung über die ganze Erzählung legen soll. Sie fragt ihre Leser_innen: ›Will you approve?‹

Gruppenbild in der Autorenresidenz bei Bangalore. (Foto: Chiranth Wodeyar, Quelle: www.mairisch.de).

Mehr über Spring #13: The Elephant in the Room gibt es in der Rezension von Zara Zerbe.