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Ãœber die Materie Comic in der Materie Comic

Metamedialität und Materialität im Comic rezensiert von Johannes C. P. Schmid

Im Zuge des material turn gerät die dingliche Beschaffenheit von Medien zunehmend in den Fokus geisteswissenschaftlicher Forschung. In Metamedialität und Materialität im Comic beschreibt und reflektiert Christian A. Bachmann nun zum ersten Mal umfänglich die Trägermedien des Comics als sinnstiftende Rahmen. Hierfür analysiert er Zeitungscomic, Comicheft und Comicbuch im Hinblick auf Thematisierungen ihrer eigenen Materialität anhand von Metaisierungspraktiken.

Man soll ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen – oder vielleicht doch? Was spielt es für eine Rolle, ob man ein Comic als Heft oder Buch liest? Oder anders formuliert: Verändert das Trägermedium den semantischen Gehalt einer grafischen Erzählung? Im vorliegenden Buch diskutiert Christian A. Bachmann Metaisierungsphänomene, die die Materialität der besprochenen Werke konkret thematisieren. Die Rolle der Materialität wird so von den Werken selbst fokussiert, wodurch diese unweigerlich Teil des Leseprozesses wird. Bachmann, selbst nicht nur Literaturwissenschaftler, sondern auch Verleger, beschäftigt sich intensiv mit bedrucktem Papier in seinen diversen Spielarten. So plädiert er dafür, den Einband und auch den restlichen dinglichen Körper von Buch, Zeitung oder Heft in die Analyse miteinzubeziehen. Dies skizziert er anhand der Geschichte des Comics, beginnend mit den amerikanischen Zeitungscomics des 19. Jahrhunderts. Diese Form der Publikation und ihre materiellen, medialen sowie ökonomischen Bedingungen sieht Bachmann als richtungsweisend für die spätere Entwicklung des Comics. Die Zeitung stellt die erste von drei prägenden Formen dar: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden Comichefte und in der zweiten Comicbücher bestimmend. Zu jeder dieser Formen arbeitet Bachmann ästhetische Merkmale heraus, welche im Wechselspiel mit ökonomischen sowie produktions- und rezeptionstechnischen Besonderheiten stehen. Webcomics klammert Bachmann aus, was in Anbetracht der Ambitioniertheit seines Projektes nachvollziehbar ist. Zumal die Materialität digitaler Formate mit dem Computer oder digital devices als Trägermedien gänzlich andere Fragestellungen mit sich bringen würde, zum Beispiel nach deren Vernetzung online oder Hypertextualität. Die Implikationen, die aus Bachmanns Arbeit auch für digitale Comics entstehen, sind jedoch erheblich und bieten lohnende Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsarbeiten. Dass Comics lange Zeit Legitimationsprobleme hatten, sieht Bachmann als wesentlich dafür an, dass sich Autor_innen verstärkt mit dem eigenen Medium auseinandersetzen. Diese Auseinandersetzung mit Comics im Comic resultiert in der Form des Metacomics.

In seinem Ansatz bemüht Bachmann dankenswerterweise nicht den Versuch einer weiteren allgemeingültigen Definition der Comics, sondern verweist hier vor allem auf die Bedeutung der verschiedenen Bedingungen der jeweiligen Trägermedien. Das Medium verhandelt Bachmann als Wechselspiel aus Medialität und Materialität. Unter Medialität versteht Bachmann im Anschluss an Knut Hickethier die ästhetischen Besonderheiten; unter Materialität verhandelt er die physischen Beschaffenheiten. Dies schließt die Werkzeuge zur Produktion des Comics, wie beispielsweise Tusche oder Stift, aber auch taktile Eigenschaften wie Stärke und Beschaffenheit des Papiers oder sogar dessen Geruch mit ein. Auch Produktionsbedingungen werden dabei mitreflektiert: frei nach der Erkenntnis, dass Comics weder geschrieben noch gezeichnet, sondern gedruckt werden. Der Ansatz sieht zudem vor, neben der visuellen Wahrnehmung auch sekundäre Sinneswahrnehmungen wie beispielsweise den Tast- oder Geruchssinn einzubeziehen. Bachmann gibt hierzu einen umfassenden Überblick und bezieht Erkenntnisse aus verschiedenen Forschungstraditionen wie Literatur- und Buchwissenschaft sowie Philosophie und Semiotik in sein Denken ein.

Das Interesse an der Materialität von Comics wird gelungen an die Frage nach Metaisierungen angeschlossen, welche der Autor als zunehmenden Trend des 20. Jahrhundert ausmacht. Bachmann diskutiert ausführlich allgemeine und comicspezifische Ansätze, die Metaisierungsphänomene zu beschreiben suchen, und verhandelt unterschiedliche Typologien von Metacomics aus der amerikanischen und europäischen Comicforschung. Letzen Endes erhebt Bachmann jedoch nicht den Anspruch einer universellen Typologie des Metacomics und verweist stattdessen auf spezifische Metaisierungspraktiken der Materialität von Comics. Hierbei kommt ein semiotischer Ansatz verstärkt zum Tragen. Ferner nimmt Bachmann prominent Bezug auf die Konzepte immediacy und hypermediacy von Jay Bolter und Richard Gruisin, welche auf die ›Sichtbarkeit‹ des Mediums selbst im Rezeptionsprozess verweisen und somit für Metacomics zentrale Fragen adressieren.

Der Analyseteil des Buches gliedert sich nach den drei Phänomenen »Metazeitungscomics«, »Metacomichefte« und »Metacomicbücher« auf, wobei Comicbücher auf Grund ihrer größeren Komplexität als längere Werke den größten Teil einnehmen. Weiterhin stellen amerikanische Werke den überwiegenden Anteil des Korpus. Die Ausnahme bildet ein Exkurs zu Marc-Antoine Mathieu. Im Falle des Zeitungscomics schildert Bachmann bereits sehr frühe Metaisierungsstrategien in den Veröffentlichungen und beschreibt den Einfluss dieser Form auf spätere Comicautor_innen. Die mehrspaltige Anordnung im Raster an zwei Achsen sowie die schnellen Produktionszyklen stellen wichtige Bedingungen dar. Betreffend der Metaisierungspraktiken führt Bachmann an, dass sowohl die weniger festgelegte Form der Zeitung als auch die Form des Comics selbst den Nährboden für Metaisierungen bereiten. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium verhalf gleichzeitig aber auch dazu, spätere Konventionen erst herauszubilden. Bachmann beschreibt die Materialität der Zeitung als wichtiges Thema der besprochenen Zeitungscomics, stellt jedoch auch heraus, dass die Autor_innen keinerlei Einfluss auf die Zeitungspublikation an sich hatten und somit Metaisierungen auf die Ebenen des Inhalts und der Darstellung begrenzt bleiben. In diesem Zusammenhang bespricht Bachmann auch Art Spiegelmans In the Shadow of No Towers, welches frühe Zeitungscomics zentral adaptiert. Die Metathematisierung der Zeitungscomics in Spiegelmans Buch sieht Bachmann jedoch kritisch: Durch den Wechsel von dünnen Zeitungs- zu extradicken Buchseiten wird die ursprüngliche Materialität hier ›preisgegeben‹, um die Strips zu konservieren. Durch diese Veränderung wird somit nur die Medialiät, nicht aber die Materialität erhalten, was das grundlegende Problem der Rekontextualisierung historischer Quellen berührt: Konservierung ist niemals ein neutraler Prozess.

Comichefte beschreibt Bachmann trotz ihres späteren Status als Sammlerobjekte als empfindliche Objekte, deren Materialität ursprünglich kein dauerhaftes Bestehen vorsah. Anhand von John Byrnes Sensational She-Hulk diskutiert Bachmann Metaisierungspraktiken wie unter anderem die direkte Ansprache der Leser_in oder das Einbeziehen von Heftwerbung in die Diegese. Humoristische Strategien bilden die zentrale Lesart. Scott McClouds übergroßes Destroy!! spiegelt anschließend die Überbietungsspirale des Superheldencomic als kritisches Element materiell wieder, während Brian Fies’ Whatever Happened to the World of Tomorrow? als ästhetische und ideologische Reflexion des Comics diskutiert wird.

Den Comicbüchern ist anschließend eine etwas längere Hinführung vorangestellt. Hier werden das Buch als Trägermedium und die damit verbundenen Diskurse beleuchtet und das (Meta-)Comicbuch vom Kunstbuch abgegrenzt. Im Folgenden werden markante Metacomicbücher wie das als Koffer inszenierte The Cardboard Valise von Ben Katchor diskutiert. Einen großen Teil des Kapitels nehmen das Werk Chris Wares und dessen Arbeit mit Paratexten und Reflektionen über das Buch als Sammelobjekt ein, welches beispielsweise über die Integration von Bastelbögen thematisiert und unterlaufen wird. Der auf Ware gesetzte Fokus ist naheliegend und auch in dessen Status als Erneuerer der Graphic Novel der letzten Jahre gerechtfertigt. Anspruch und Raffinesse der Metaisierungsphänomene sind in den besprochenen Büchern generell deutlich ausgeprägter als in Zeitung und Heft, was sicherlich auch in den Formaten per se angelegt ist. An dieser Stelle führt der Autor noch weiterführende poststrukturalistische Theorien der Rhizome und Falten ein, was an so später Stelle im Buch etwas überrascht. Dies hätte bereits im allgemeinen Teil erfolgen können, und die neu eingeführte Theorie verwirrt an dieser Stelle im Buch etwas. Überhaupt ist die Bandbreite der herangezogenen Theorie überaus beeindruckend, was stellenweise jedoch etwas zulasten der Übersichtlichkeit geht. So hat der Band an vielen Stellen Überblickscharakter, was als Einführung in das Thema sinnvoll sein mag, ein kompaktes Modell wird jedoch nicht vorgeschlagen. Den konventionellen Comicbüchern stellt Bachmann außerdem noch Unterkapitel zu den Nischenphänomenen Comicskizzenbücher, Pop-up-Comicbücher sowie den bereits erwähnten Exkurs zu Marc-Antoine Mathieu hintenan. Somit bietet das Buch eine sehr umfassende Übersicht über Spielarten der Materialität und die damit verbundenen Metaisierungspraktiken.

Metamedialität und Materialität im Comic stellt ein erstes umfassendes Standardwerk in deutscher Sprache dar. Die Frage nach der Materialität und somit auch der damit verbundene Zweig innerhalb der Comicforschung können im Hinblick auf die Digitalisierung nur an Relevanz gewinnen. Dies zeigt sich unter anderem auch an aktuellen Veröffentlichungen wie dem kürzlich erschienenen special issue Mediality and Materiality of Contemporary Comics des Journal of Graphic Novels and Comics.

Bachmann schließt sein Buch mit dem Fazit, dass Metaisierungsphänomenen das Potential innewohnt, Konventionen zu durchbrechen und Medien so zu erneuern. Daher fordert er, bei der Analyse von Comics deren Trägermedien unbedingt zu berücksichtigen. Metaisierungsphänomene bieten gleichsam besonders eindeutige Fälle, in denen die Materialität des Comics wichtiger Teil des Leseprozesses wird. Zukünftig wird es zu erarbeiten sein, inwieweit die Materialität des Comics auch in weniger offensichtlichen Fällen semantisch relevant ist. Christian A. Bachmanns Buch stellt eine wichtige Grundlagenarbeit dar, die richtungsweisendes und erneuerndes Potential aufweist. Dieses Potential muss jedoch in der weiteren Arbeit auch ausgeschöpft werden, um universelle Ansprüche innerhalb der Comicforschung zu etablieren.

 

Metamedialität und Materialität im Comic
Zeitungscomic – Comicheft – Comicbuch
Christian A. Bachmann
Berlin: Ch. A. Bachmann, 2015
290 S., 39,90 Euro
ISBN 978-3-941030-65-7