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Leuchtende Punkte am dunklen Himmel:
Helios von Etienne Chaize braucht nicht viele Worte

Helios rezensiert von Gerrit Lungershausen

Das Comic-Debüt des französischen Grafikers Etienne Chaize erzählt eine Geschichte von epischem Ausmaß, ohne viele Aufhebens um Orthografie oder Grammatik zu machen. Auf Sprache verzichtet er einfach völlig. Stattdessen: Opulente Bilder.

Eigentlich ist es kein Debüt. Und auch nicht ganz ohne Worte. Chaize hatte bereits 2015 an dem Comic Quasar contre Pulsar als Kolorist und Hintergrundzeichner mitgewirkt, aber dieses Mal hat er den Comic ganz in Eigenregie verantwortet. Und ganz ohne Worte kommt der auch nicht aus, sondern enthält einen kurzen französischen Prolog, in dem die Grundsituation – der Ausgangspunkt der Handlung – dargelegt wird. Ein untergehendes Königreich. Hoffnung. Aufbruch.

Eine Gesellschaft, die anscheinend in Stände unterteilt wird, ist dem Untergang geweiht. Kosmisches Schicksal: erkaltete Sonne. Unter der Führung einer in Gelb gewandeten Figur schöpft die Menge aber Hoffnung und beschließt freudig den gefährlichen Aufbruch in die Ferne. Der Tross setzt sich in Bewegung, bewacht von einer Gruppe von Soldaten, begleitet von mehreren Spielleuten, getragen von einer überdimensionierten kristallinen Antilope. Sie erleben einige Abenteuer, die nicht von ungefähr an Hokusais Welle oder Piranesis Ruinen-Kupferstiche erinnern, treffen verlustreiche Entscheidungen, gelangen aber schließlich durch ein Höhlensystem und über ein Gebirge in das Licht, das sie so sehr gesucht haben. Geschichte aus.

Die Abbildungen in Helios gleichen einem Wimmelbild (© Etienne Chaize & éditions 2024).

Aber nicht ganz, denn der Comic zeigt sehr schön, dass sich jede Ereignisfolge als ganzes Bündel von Geschichten erzählen lässt: Sowohl die grand recits dieser Gesellschaft sind darin enthalten wie auch die individuellen Schicksale, die in ersteren durchaus nicht aufgehen müssen. So lassen sich die Schicksale einzelner Figuren sehr schön verfolgen, und dann zeigen sich Verlustgeschichten, Bewährungsproben, Siege und Niederlagen. Nur dadurch, dass der Comic stumm erzählt, ist es möglich, diese einzelnen Geschichten einander überlagern zu lassen, so dass man gezwungen ist, den Comic wieder und wieder zu lesen, bis das Bild der dortigen Gesellschaft allmählich klarer wird.

Der Comic ist narrativ, und dabei zugleich eine Sammlung beeindruckender Wimmelbilder. Die Hintergründe sind außerordentlich dunkel, und die Kontraste mit viel Bedacht gewählt, so dass Effekte von Nebel, Sandsturm und Wasserwirbel gut getroffen werden. Die Hoheitszeichen der Figuren sind die leuchtenden Lichtquellen, die nicht nur den Bildraum zu erhellen scheinen, sondern auch die Aufmerksamkeit lenken. Der Comic ist mit Liebe zum Detail entstanden, teilweise am Computer, versetzt mit Papierzeichnungen und Collagen. Diese Arbeit hat zudem der Straßburger Verlag Editions 2024 angemessen in Szene gesetzt: Das monumentale Format (28,6 × 38 cm) sprengt jedes Buchregal, die Entscheidung für die Schweizer Broschur macht den Comic zu einem Lese-, Blätter- und Tasterlebnis. Editions 2024 hatte bereits Quasar contre Pulsar veröffentlicht und ist auch für den 3-D-Brillen-Comic Jim Curious von Matthias Picard verantwortlich (Übersetzung bei Reprodukt). Mit seinem kleinen, aber feinen Programm ist er etwas für Ästhet_innen. Das gilt für Helios ganz besonders

 

Helios
Etienne Chaize
Straßburg: Editions 2024, 2016
40 S., 23,00 Euro
ISBN 978-2919242511