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Pessimismus oder bittere Realität?

Der Realist rezensiert von Uxía Iglesias Tojeiro

In Der Realist lernen wir Asaf Hanuka und seine Familie kennen. Asaf Hanuka erzählt in humorvollen, oft surrealen und manchmal sogar neurotischen Comicstrips, wie sich der Alltag für ihn und seine Familie in Tel Aviv gestaltet. Auf einmal ist er Vater, Ehemann, Comiczeichner – also ein Erwachsener, der trotz allem versucht, nicht die Verbindung zu verlieren zu dem Kind, das er einmal war. Dank seiner Erzählweise – in jeder Seite wird einfach ein Moment oder ein Gefühl dargestellt – gelingt es Asaf Hanuka schnell, die Komplizität und die Empathie der Leser_innen zu gewinnen.

Der Realist ist der erste autobiografische Comic von Asaf Hanuka, der sonst immer in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern gezeichnet hat: Entweder mit Schriftstellern wie Etgar Keret und Didier Daeninckx oder mit seinem Zwillingsbruder Tomer Hanuka, ebenfalls Comiczeichner, mit dem er unter Anderem den Film Waltz with Bashir illustriert hat. Der Realist ist eine Sammlung der wöchentlichen Comicstrips, die er ab 2010 in dem israelischen Magazin Calcalist veröffentlicht hat.

In diesen Comicstrips erzählt Asaf Hanuka aus seinem Alltag in Tel Aviv: Er muss mit seiner Familie in drei Monaten eine neue Wohnung finden, weil die, in der sie wohnen, verkauft werden soll. Tel Aviv wird wie eine moderne Stadt präsentiert, die ihren Bewohner_innen die gleichen Probleme bereitet wie jede europäische Stadt heutzutage: Die Preise der Wohnungen sind viel zu hoch, die Löhne viel zu niedrig. Asaf und seine Frau wollen im Zentrum bleiben und nicht an den Stadtrand ziehen, wie seine Eltern ihnen empfehlen: Da solle es ruhiger, billiger und besser für das Kind sein. Um die Wohnung, die sie wollen, bezahlen zu können, müssen sie einen Kredit aufnehmen, der zum Albtraum für Asaf Hanuka wird und viele Unsicherheiten und Ängste in ihm weckt.

Der Realist erzählt vom Aufwachen aus der Traumwelt eines Comiczeichners, der sein ganzes Leben in einer Comicwelt voller Held_innen und fantastischer Geschichten gelebt hat, vom Aufwachen in der realen Welt, wo Rechnungen zu bezahlen sind, das eigene Kind nicht immer nett und lieb ist und die Beziehung zur Ehefrau immer schlechter wird: Die Realität.

Am Ende des Comics finden wir ein Interview von Dimitrios Charistas, in dem Asaf Hanuka behauptet: »Mich interessieren politische Botschaften nicht, da ich selbst keine habe« und er sich selbst als Atheist bezeichnet. Trotzdem gibt es in Der Realist auch Strips, in denen der Autor das Thema Politik und Religion schildert und seine Meinung dazu deutlich wird. Keine eigene Meinung zu haben in einem Land wie Israel, in dem Religion und Politik sehr eng miteinander verbunden sind und zu dem jeder Mensch auf der Welt eine Meinung hat, wird als ein unmögliches Vorhaben dargestellt.

Vater und Sohn erleben den Alltag in Tel Aviv.

Der Comic schneidet viele sozialkritische Themen an, wie Kinderarbeit, Zwangsehen, wie sie viele Kinder in der Welt auch heutzutage noch erleben, oder den Sexismus in unserer Gesellschaft. Dadurch, dass er gleichzeitig moderne kulturelle Bezugspunkte aufgreift, wie zum Beispiel Game of Thrones, Whatsapp, Facebook oder Google, situiert er sich in einem globalen Universum. Es wird auf diese Weise möglich, das Bild von Tel Aviv, das die Medien in Europa vermitteln, eine Stadt, die ständig im Krieg ist, sehr konservativ und religiös, zu brechen: Die Anekdoten, die er erzählt, könnten genauso gut in anderen Städten erlebt werden. Einer der interessantesten Aspekte des Comics ist die Form, in der die Geschichten erzählt werden. Jedes Fragment oder jede Geschichte wird auf jeweils einer Seite entwickelt, in vielen verschiedenen Variationen: Es werden verschiedene Vignetten benutzt oder es erstreckt sich ein Panel über die ganze Seite, manchmal werden die Bilder von Text begleitet, manchmal stehen sie einfach für sich. Oft genügt eine Zeichnung, um ein starkes Gefühl auszudrücken, das sehr einfach und konkret präsentiert wird und mit dem der Comic es schafft, die Empathie der Leser_innen anzusprechen, da es oft alltägliche Situationen sind, die mit viel Zärtlichkeit und gleichzeitig bitterem Realismus präsentiert werden. Dies wird noch durch die Farbgebung unterstützt. Ein erster Blick in den Comic lässt klar erkennen, dass es ein farbiges Werk ist. Beim Lesen entdeckt man jedoch einige Seiten, die größtenteils schwarzweiß sind, aber kleine farbige Details haben, wodurch diese symbolische Strahlkraft bekommen.

Auf jeden Fall ist es ein sehr empfehlenswerter Comic, in dem die Leser_innen ein Tel Aviv entdecken, das sich vom Klischee entfernt: Für Asaf Hanuka ist Tel Aviv nicht die traditionelle, religiöse und ständig von Kriegen zerrissene Stadt, die wir aus den Medien kennen, sondern eine Stadt, die sicher, modern und voller Möglichkeiten ist. In dem Interview behauptet Hanuka, dass in Israel Tel Aviv als »die Blase« bezeichnet wird, »weil es vom Rest Israels auf so viele Weisen abgeschnitten ist«. Er fügt hinzu, dass »in den letzten Jahren Israel allerdings immer rechter und nationalistischer wurde.« Deswegen antwortet er, wenn er danach gefragt wird, warum er dort wohnt: »Ich lebe in Tel Aviv, weil es der beste Ort ist, um sich zu verstecken.«

 

Der Realist
Asaf Hanuka
Ludwigsburg: Cross Cult, 2015
192 S., 29,95 Euro
ISBN 978-3-86425-594-6