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Die Fratze des Bösen

Millennium: Verblendung rezensiert von Nikolai Ziemer

Der Thriller Verblendung von Stieg Larsson offenbart als Comic in besonderer Weise die Schwierigkeiten einer Romanadaption. Denn während die verstrickte Handlung überzeugend in die Comic-Form übertragen wird, passt der Zeichenstil so gar nicht zu der brutalen Thematik.

Eine gute Dekade nach Erscheinen des ersten Teils der sogenannten ›Millennium-Trilogie‹ wird Verblendung von Stieg Larsson als Comic adaptiert. Sowohl von europäischer als auch US-amerikanischer Seite bereits verfilmt, legen die USA und Frankreich fast zeitgleich mit sehr unterschiedlichen Comic-Interpretationen nach. Die in Deutschland bei Splitter verlegte europäische Version wurde von dem Spanier José Homs gezeichnet, den Text übernahm der Franzose Sylvain Runberg.

Die Haupthandlung ist jedem Krimifan bekannt: Der schwedische Journalist Mikael Blomquist wird wegen übler Nachrede verurteilt, weil er unhaltbare Vorwürfe über den Industriellen Erik Wennerström in seiner Zeitschrift Millennium veröffentlicht hat. Blomquist wird daraufhin von dem ehemaligen Konzernchef Henrik Vanger engagiert, dessen Familienchronik zu schreiben, und soll im Gegenzug belastende Informationen über Wennerström erhalten. Inoffiziell lautet sein Auftrag jedoch, den 40 Jahre zurück­liegenden Mord an Harriet Vanger, Henriks Großnichte, aufzuklären. Blomquist muss dafür auf die Insel Hedestadt ziehen, wo er mit dem zerrütteten Vanger-Clan, bei dem jeder verdächtig ist, konfrontiert wird. Mit Hilfe der exzentrischen Punkerin und Hackerin Lisbeth Salander stößt er dabei auf eine ganze Mordserie, die der Vater des Firmenchefs Martin Vanger mehrere Jahrzehnte zuvor begann und die sein Sohn nach dessen Tod bis in die Gegenwart fortführte. Gemeinsam können die beiden zu guter Letzt sogar Wennerströms Korruptionsskandale beweisen und die noch lebende Harriet, die sich all die Jahre vor ihrem mordenden Bruder verstecken musste, wiederfinden.

Soweit zur Haupthandlung, die jedoch schon bei Larsson alles andere als linear verläuft. So verbindet der Autor die Handlungsstränge von Mikael und Lisbeth erst relativ spät; der Journalist soll sich zunächst mit der Wennerström-Affäre herumschlagen und eine ganze Weile ergebnislos auf der Insel Hedestadt recherchieren, bevor er gegen Ende auf eine heiße Spur stößt und über Umwege Lisbeth als Helferin engagiert. Lisbeth hingegen, die als Informantin bei einem Sicherheitsunternehmen arbeitet und als Top-Hackerin spielend leicht an privateste Geheimnisse kommt, muss sich erst an ihrem Vormund Nils Bjurmann rächen, der sein Amt ausgenutzt hat, um die angeblich psychisch kranke Lisbeth zu missbrauchen und auf brutalste Weise zu vergewaltigen.

Der Comic vollbringt es, diese zwei Handlungen durch einen raffinierten Rhythmus sinnvoll zu verschränken, indem jede Sequenz meist nur eine Seite oder Doppelseite einnimmt. Dies erzeugt Spannung und die für einen Thriller nötige Unsicherheit, da die Leser_innen bei jedem Umblättern mit einer neuen Szene konfrontiert werden. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass scheinbar wahllos an einigen Stellen des Comics je eine ganze Seite eingestreut wird, auf der in ein paar wenigen Panels zu sehen ist, wie verschiedene unbekannte Frauen auf makabre Art ermordet werden, ohne dass zunächst ein Handlungs­bezug ersichtlich wird. Erst ganz zum Schluss finden Mikael und Lisbeth heraus, dass Harriet Vanger in einem Tagebuch verschlüsselt auf eben jene Morde hinweist, die von ihrem Vater und Bruder verübt wurden. Selbst Mikaels langwierige Recherchen über verstaubten Fotos werden durch die düsteren Einschübe zu fesselnden Szenen, da sie für die Leser_innen von einem unbestimmbaren Grauen überschattet werden.

Dass in einer Adaption bisweilen auch starke Kürzungen vorgenommen werden müssen, ist verständlich, aber Runberg und Homs vermögen es, Text und Handlung zu komprimieren, ohne störende Lücken entstehen zu lassen. Wenngleich die Geschichte ständig zwischen unterschiedlichen Orten und Handlungen springt, haben die Autoren für flüssige Übergänge gesorgt. Dies passiert etwa durch den Einsatz von Einstiegspanels, die gleichsam als mise-en-scène zunächst einen Überblick über die Gegebenheiten verschaffen, oder durch Wortfetzen, die wie bei einer Überblendung im Film zwei unterschiedliche Szenarien verbinden.

Auch Änderungen, um der bekannten Geschichte ein neues Gesicht zu verleihen, sind gängige Praxis. Doch überall dort, wo der Comic Details hinzufügt, wird es unlogisch. So ist Martin Vanger im Comic verheiratet, in der Vorlage hat er nur eine Freundin. Dies wird dann problematisch, wenn am Schluss herauskommt, dass Martin in seinem Keller seit Jahrzehnten eine Folterkammer eingerichtet hat, in der er regelmäßig seine Opfer vergewaltigt und ermordet. Die Frage, wie die eigene Ehefrau diesen Umstand trotz eines scheinbar harmonischen Ehelebens nicht bemerken konnte, wird nicht beantwortet. Auch bleibt unklar, warum diese zum Schluss sogar von ihrem Mann in einer Kamikaze-Aktion getötet wird, während er sie als »unerträgliche und arrogante Schlampe« bezeichnet.

Ebenfalls überambitioniert ist der Zeichenstil von Homs. Während die Settings bis an die Realitätsgrenze ausgestaltet sind, die Panels sich brav aneinanderreihen und das Lettering selbst in den Actionszenen unverändert bleibt, leiden die Gesichter der Charaktere an einer karikaturhaften Überzeichnung. Dies wirkt an einigen Stellen komisch, etwa wenn die Figuren tatsächlich eine Gefühlsregung offenbaren und sich die Mimik dann übertrieben verzerrt. Ansonsten zweifelt man bei all den vermeintlichen Clownsmasken sehr daran, gerade einen Thriller in der Hand zu halten. Spätestens bei den expliziten Gewaltdarstellungen ist die Wirkung dann auch grotesk. Inhalt und Darstellungsweise divergieren hier stark, das Böse bekommt eine lächerliche Fratze.

Während Stieg Larsson mit seinem Roman auch schockieren und wachrütteln wollte, indem er reale Bezüge zu aktuellen Themen innerhalb der schwedischen Gesellschaft wie Rechtsradikalismus, Korruption und Gewalt gegen Frauen herstellte, werden diese in der Adaption höchstens als Handlungselemente benutzt, um einen Thriller zu erzählen. Hätte das französische Verlagshaus diese Bezüge ernster genommen, hätte es auf Zeichner_innen zurückgegriffen, die durch ihren Stil den diffizilen Themen der Vorlage gerecht werden. So aber ist aus einer Geschmacksfrage etwas Irritierendes entstanden.

 

Millennium
Verblendung
Stieg Larsson (W), Sylvain Runberg (W), José Homs (P)
Übers. v. Tanja Krämling
Bielefeld: Splitter, 2013
128 S., 19,80 Euro
ISBN 978-3-86869-698-1