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Wolf Larsen revisited – Der Seewolf unsterblich?

Der Seewolf rezensiert von Simone Vrckovski

Riff Reb’s adaptiert den Klassiker von Jack London in faszinierenden Bildern und eigenen Worten. Gelingt ihm die bildliterarische Gratwanderung zwischen philosophischem Abenteuerroman und fesselndem Comic-Buch?

Schon beim ersten Überfliegen zufällig aufgeschlagener Seiten von Der Seewolf wollen meine Augen gar nicht mehr aufhören, den Bewegungen der einzelnen Figuren zu folgen und ihre Körperhaltungen, Schwungansätze und Gestiken zu studieren, die in der Linienführung lebendig werden. Riff Reb’s alias Dominique Duprez bringt den mehrfach verfilmten und in den 60er Jahren in der Reihe Illustrierte Klassiker auch in Deutschland als Comic erschienenen Abenteuerroman von Jack London nicht nur mit detaillierten Grafiken in der düsteren Optik eines comic noir zu Papier, sondern wagt es sogar, für seine freie Adaption des Originaltextes ein neues Ende zu entwerfen.

Die umfassenden Recherchen des seit 1985 aktiven Comic-Zeichners, der auf mehreren historischen Schiffen mitsegelte, spiegeln sich in der perspektivischen Exaktheit und unaufdringlichen Einfachheit der gezeichneten Räume wider und weisen auf eine Begeisterung für die maritime Sphäre hin, die wie bei Jack London weit über ein berufsmäßiges Interesse hinausgeht. Riff Reb’s stellt das Wetter, den Himmel und das Element Wasser so virtuos in deren Wesensformen dar, dass es einem beinahe logisch erscheint, wenn man erfährt, dass er seit langem auf einem Berg mit Seeblick in der Nähe von Le Havre lebt und arbeitet. Das facettenreich ausgearbeitete Spiel aus Licht und Schatten, das durch die kapitelweise wechselnde monochrome Gestaltung wirkungsvoll betont wird, ist für den Künstler typisch.

Doch mehr als dem Meer und seinen Menschen gilt Riff Reb’s’ Leidenschaft der philosophischen Tiefgründigkeit der Werke, die er adaptiert. Dabei sieht er kein Problem darin, das von ihm Gelesene zu zeichnen; viel schwieriger sei es, die beste Version der Geschichte zu erzählen – und zu wissen, welche Informationen erhalten bleiben müssten, damit die Dramaturgie nicht zerstört werde:

Ich profitiere vom Effekt der Synthese; das heißt, ich beschränke mich auf alle guten Ideen von Jack London und gebe sie in einer höheren Konzentration wieder, als wenn man eine ganze Symphonie in einen Dreiminüter der Ramones stecken würde,

erläutert Riff Reb’s augenzwinkernd seine Vorgehensweise.1 – Doch hält diese drastische Emanzipation vom Originalwerk, was sie verspricht?

Der intellektuelle Schreiberling Humphrey van Weyden wird nach einem Dampferschiffbruch vom Schoner Ghost und seinem unerbittlich gewaltbereiten Kapitän Wolf Larsen aufgefischt. In abgerissenes Ölzeug gesteckt, muss der körperlich absolut untrainierte Studiosus und Gentleman sein karges Leben an Bord auf der Stufe eines kartoffelschälenden Schiffsjungen beginnen. So unbeholfen und slapstickartig van Weyden, der nichts über die physikalischen Berechnungen und Erfahrungswerte in Wind und Wetter weiß, die einem Seemann das Leben sichern, durch die Gegend stolpert, so ernsthaft und aufmerksam ist er mit der intellektuellen Analyse seiner neuen Umgebung befasst.

In der gefängnisähnlichen Enge des Schiffes gibt es niemanden außer Wolf Larsen, der mit philosophischen Fragestellungen in Berührung gekommen ist und als Gesprächspartner für ›Hump‹ in Frage kommt. Larsen nutzt die Begegnungen mit van Weyden seinerseits dazu, erstmals mit einem anderen Menschen tiefgreifende theoretische Diskussionen über Moral, Vernunft, Materialismus und die Unsterblichkeit der Seele zu führen. Seiner einfachen Herkunft wegen konnte er sich nur autodidaktisch mit philosophischen und physikalischen Fragestellungen befassen und suchte diese eher in seiner alltäglichen, vom Spencer’schen Motto ›survival of the fittest‹ geprägten Lebenspraxis zu verifizieren und falsifizieren. So entwickelt sich eine ambivalente Beziehung zwischen dem Kapitän und seinem Untergebenen, die van Weyden neue Perspektiven auf die dunkle Rätselhaftigkeit Wolf Larsens eröffnet und seine eigene moralische Sicht der Dinge grundlegend in Frage stellt.

›Der Seewolf‹ Larsen im Kampf mit der stürmischen See

Die atmosphärische Stille einer todbringenden Flaute, die Fluten tobender Stürme, der Kontrast zwischen den gedrungenen und schummerigen Schiffsräumen und der weltraumkalten Rauheit des Pazifiks, die Figuren darin, scheinen für Riff Reb’s das optimale Motivensemble zu sein, um seinerseits zeichnerisch das menschliche Dasein am Weltenrand auszuschreiten. Dabei spricht die Dynamik der in klassische Panels aufgeteilten Bilder für die altgediente Methode des Zeichners, seine Grafiken bewusst nicht am Rechner zu entwerfen, sondern mit Stift auf Papier zu arbeiten und einer klaren und wirklich perfekten Linie die dreckige, gebrochene vorzuziehen.

Van Weyden wird zum Steuermann und engsten Mitarbeiter Larsens befördert und entdeckt, dass der brutale Kapitän unter starken Migräneanfällen leidet, die seine Launen prägen. Monate vergehen und van Weydens körperliche Konstitution wird durch die unvermeidliche Knochenarbeit an der frischen Luft gestärkt, während es Larsen körperlich immer schlechter geht, auch wenn er bei einer Meuterei seine Autorität mehr als erfolgreich unter Beweis stellen kann. Eines Tages entdeckt die Mannschaft ein Boot, auf dem sich mehrere Schiffbrüchige befinden, unter ihnen die bekannte Autorin Maud Brewster. Wolf Larsen nimmt alle in seine Besatzung auf und versucht, sich der gebildeten Frau gewaltsam zu nähern. Hump entdeckt die beiden, kann gemeinsam mit Maud den Kapitän überwältigen und vom Schiff fliehen. Die Flucht endet auf einer felsigen Insel.

Die nun folgende Erzählung einer von Entbehrungen geprägten Zeit an Land, in der sich Maud und Humphrey gemeinsam auf das Überleben in widrigster Umgebung konzentrieren müssen und ihre Liebe zueinander wächst, Hump die gestrandete Ghost mit Wolf Larsen an Bord entdeckt und die alte Fehde zwischen den beiden Männern wieder aufflammt, wirkt, wenn man den Klassiker kennt, in ihrer Treue zum Original wie die Ruhe vor dem Sturm. Die dramaturgische Kürze und Konsequenz von Riff Reb’s’ subtilem, doch wagemutigen Neuentwurf der Schlusssequenz tritt vor diesem Hintergrund umso prägnanter hervor, denn die Umdeutung von Londons Seewolf vollzieht sich rückwirkend: Humphreys Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, den Larsen nie geteilt hat, bewahrheitet sich, wandelt sich aber vom hoffnungsfrohen Gedanken einer möglichen Selbstbestimmung im Jenseits in den blanken Horror unabänderlicher diesseitiger Ohnmacht...

Auch wenn Der Seewolf von Riff Reb’s eine detailreich visualisierte und überaus spannende Lektüre ist, wirken die Dialoge bisweilen stark verkürzt und die deutsche Übersetzung von Zeit zu Zeit gezwungen salopp. Hier wäre es überzeugender gewesen, den philosophischen Elementen des Originaltextes mehr Platz einzuräumen und die Ernsthaftigkeit des comic noir sprachlich sorgfältiger auszuarbeiten.

Der Seewolf ist der zweite Teil der im November 2014 in Frankreich als Trilogie maritime publizierten Reihe von Riff Reb’s und wurde 2013 mit dem 1er Prix de la BD Fnac ausgezeichnet.

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Der Seewolf
Nach dem Roman von Jack London
Riff Reb’s
Berlin: Splitter, 2013
136 S., 24,80 Euro
ISBN 978-3-86869-636-3