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Bilder des Grauens
Zur Darstellung von Krieg und Gewalt im intermedialen Verhältnis von Comic und Fotografie

Johannes Schmid (Hamburg)

Seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert gilt die Fotografie als Leitmedium für die Darstellung von Tod und Gewalt; viele ikonische Fotografien entstammen diesem Kontext (vgl. Böger, 607). So wurden auch die Kriege des 20. Jahrhunderts von ihrer fotografischen Berichterstattung stark beeinflusst. Fotografie kann die Stimmung innerhalb einer Bevölkerung bezüglich eines Krieges entscheidend beeinflussen. Dies kann als Propagandainstrument gegenüber dem Feind genutzt werden, als Berichterstattung über eigene Gräueltaten aber auch den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung schwinden lassen (vgl. Brothers, 1). Während Fotografie generell als journalistisches und dokumentarisches Medium angesehen wird, sind Comics lange Zeit tendenziell mit auf Unterhaltung ausgerichteten Inhalten assoziiert worden. Werke, die sich dennoch des Themas ›Krieg‹ annahmen, hatten meist eine stark patriotische Ausrichtung. Hier sind insbesondere amerikanische War Comics, aber auch Comic-Superhelden wie Captain America, Superman und viele weitere zu nennen, die besonders während des Zweiten Weltkrieges hohe Popularität genossen. Die Darstellung von Kriegsgeschehen zielte hier nicht auf Realismus, sondern vornehmlich auf das Erzählen von Heldengeschichten ab (vgl. Duncan und Smith, 249–252; Palandt, 260–262).

Erst mit Aufkommen der alternative comics im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen autobiografische und andere faktuale grafische Werke, die das Medium Comic für eine kritischere und vor allem persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema nutzen. Dies geschieht häufig mit einem direkten Abgrenzungsgestus gegenüber den vermeintlich heroisierenden mainstream comics (vgl. Hatfield, 112). Die Autoren nutzen hier grafische Literatur, um traumatische Erlebnisse und Grenzerfahrungen kommunizierbar zu machen. Durch die Eigenschaft von Comics, Ereignisse gemeinhin als eine Sequenz von abgegrenzten Einzelmomenten darzustellen, wird diesen häufig zugesprochen, besonders geeignet zu sein, um Traumata und Grenzerfahrungen zu repräsentieren. Die visuelle und narrative Fragmentierung des Comics korrespondiert mit literarischen Konventionen zur Repräsentation traumatischer Erlebnisse, die sich chronologisch gradliniger Wiedergabe entziehen (vgl. Chute 109; Hatfield xiii; Mitchell 2014, 263). Neben dem graphic memoir hat sich vor allem auch der von Joe Sacco geprägte comics journalism als Genre grafischer Literatur zur Darstellung von Krieg und Gewalt etabliert.

Dieser Aufsatz wird sich am Beispiel von Emmanuel Guiberts, Didier Lefèvres und Frederic Lemerciers The Photographer (2009) sowie Ari Folmans und David Polonskys Waltz with Bashir (2009) mit faktualen Comics beschäftigen, die das Thema Krieg mithilfe von integrierten Fotografien verhandeln. Hierbei stehen sich zwei grundlegend verschiedene Bildtypen gegenüber: Während Fotografien oftmals als Abbildung mit Beweischarakter wahrgenommen werden, gelten Zeichnungen und andere ›manuelle‹ Bilderstellungs­verfahren vielmehr als persönliche Interpretationen des Erlebten. Daher wird darüber hinaus im Mittel­punkt stehen, inwieweit die Autoren dieser Werke Fotografie als Authentifizierungs­strategie nutzen oder den vermeintlichen Echtheits­anspruch der Fotografie unterlaufen. Ferner erzeugt die Fotografie in der Kriegs­bericht­erstattung oftmals besonders schockierende Bilder der Opfer von Gewalt und Kriegsverbrechen. Hier gilt es herauszustellen, inwiefern Fotografien aufgrund ihrer anzunehmenden Schockwirkung in der Gewaltund Opferdarstellung in grafische Literatur integriert werden.

Authentizität und Zeugenschaft

Für sämtliche faktuale Medien gilt die grundlegende Voraussetzung, dass die dargestellten Ereignisse als ›echt‹ rezipiert werden. Mit Ausnahme von beispielsweise Mode- oder Werbefotografie dürfen die meisten fotografischen Genres nach gängigen Erwartungen nicht gestellt sein. (Auto-)biografische oder dokumentarische Literatur darf ihrerseits keine offensichtlichen Unwahrheiten enthalten. Da mittlerweile kaum noch von essentiellen Eigenschaften eines Werkes ausgegangen wird, die es inhärent nicht-fiktional machen (vgl. Eakin, 25), ist es für eine literatur­wissenschaftliche Untersuchung umso relevanter herauszustellen, mit welchen Authentifizierungsstrategien Autor_innen diese Werke als faktual markieren und das Vertrauen hierin in ihren Rezipient_innen erzeugen. Jeder nachträgliche Bericht von erlebten oder beobachteten Ereignissen ist zunächst dem grundlegenden Problem von Zeugenschaft unterworfen: Persönliche Eindrücke sind anschließend gegenüber einer unbeteiligten Rezipient_in wiederzugeben und sollen den erlebten Ereignissen dabei gerecht werden. Wiedergabe und Erfahrung können hierbei allerdings zwangsläufig nicht deckungsgleich sein. Das Vertrauen in die ›Authentizität‹ des Berichteten beruht auf der Tatsache, dass die Zeug_in den Ereignissen tatsächlich beigewohnt hat. Wie Knieper und Müller bemerken, bedeutet Authentizität etymologisch »Echtheit, aber auch Glaubwürdigkeit« (7). Diese Glaubwürdigkeit und die Autorität, über ein bestimmtes Ereignis verlässlich berichten zu können, ist somit an die Person der Zeug_in geknüpft (vgl. Peters, 26). Zu bezeugen bedeutet daher, wie Derrida anführt, nicht zu beweisen, sondern dafür einzustehen, erlebt zu haben (vgl. 188f.). Manuell produzierte Bilder sind als nachträgliche Reproduktion und Interpretation derselben Problematik wie auch Sprache unterworfen, auch ihre Beweiskraft ist abhängig von der Person der Zeug_in und nicht vom Artefakt selbst. In Comics ist Zeichnung die dominante Form der Bilderstellung. Gleichwohl treffen die hier beschriebenen Überlegungen zum Verhältnis von Comic und Fotografie genauso auf andere Formen der manuellen Bilderstellung wie Tusche, aber auch nicht-fotografische Formen der digitalen Bildproduktion, die zur Erstellung von Comics genutzt werden, zu. Es wird hierfür angenommen, dass Comics als distinktes Medium rezipiert werden, welches sich aus sequenziell angeordneten Bildern und üblicherweise Schrift zusammensetzt (vgl. Chute, 108; El Refaie 2012, 48; Kukkonen, 4).

Die Problematik der Zeugenschaft zeigt sich darin, dass jede Zeug_in durch ihre individuelle Subjektposition die Aussage beeinflusst, diese aber möglichst objektiv sein soll. Die Entwicklung der Fotografie im 19. Jahrhundert versprach mit der Kamera ein Werkzeug bereitzustellen, welches diese Kluft zwischen Erlebnis und Äußerung und damit auch den Spielraum für persönliche Färbungen und Interpretationen überbrücken sollte. Durch die mechanische Form der Bilderstellung sollte das Zeugnis von der subjektiven Interpretation emanzipiert werden (vgl. Sturken und Cartwright, 16f.; Peters, 33f.). Während schriftliche oder gezeichnete Reproduktionen von Ereignissen immer im Nachhinein angefertigt werden, entsteht ein Foto mit (modernen) Kameras sofort und in einem einzigen Moment (vgl. Hillenbach, 163). Diese Momentabhängigkeit und teilautomatisierte Bildherstellung verleiht der Fotografie die Stellung Bilder zu produzieren, die als ›echt‹ oder ›authentisch‹ angesehen werden. Diese Betrachtungsweise stützt sich auf ›fotografische Indexikalität‹, welche Fotografien als Zeichen verhandelbar sind, die in einer direkten Relation zur vormedialen Realität stehen (vgl. Sturken/Cartwright, 17). Wie schon Roland Barthes in seinem Aufsatz »The Photographic Message« bemerkte, scheinen Fotografien vermeintlich direkte ›Reduktionen‹ der Realität wiederzugeben, anstatt diese in einen ›Code‹ zu übersetzen. Somit stehen sie augenscheinlich in einem kontinuierlichen Verhältnis zur Realität. Zeichnungen stellen sich hingegen immer als nachträgliche subjektive ›Transformationen‹ erlebter Ereignisse dar (vgl. 1977a, 17). Diese Transformation ist dabei auch immer mit dem persönlichen Stil der Künstler_in verbunden (vgl. ebd.; Sontag 1977, 4; Kukkonen, 55; Schmitz-Emans, 60). Wie Susan Sontag hierbei anführt, werden ›handgemachte‹ Bilder immer als ›Interpretation‹ wahrgenommen, während Fotografien die Realität transparent abzubilden scheinen (vgl. 1977, 6). Während diese Thesen nicht als allgemeingültige Aussagen stehen können und vor allem im Fall Sontags auch in erster Linie Ausgangspunkt für eine Kritik dieses Verhältnisses sind, so ist diese Art der Gegenüberstellung beider Medien doch immer noch symptomatisch für ihre gesellschaftliche Aushandlung.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Annahme der Fotografie als Medium mit absolutem Beweischarakter jedoch vollständig widerlegt. Ein Kanon an mittlerweile klassischer Theorie der Fotografie und Visual Culture weist auf diverse subjektive Momente in der fotografischen Bilderstellung hin (vgl. u. a. Sontag 1977, 6f.; Tagg, 3; Bourdieu, 73). Hinzu kommt, dass die Möglichkeiten der Bildmanipulation, insbesondere im digitalen Raum, mittlerweile weitreichend bekannt und auch einer großen Masse an Nutzer_innen zugänglich sind. Hierdurch verschwimmen die Unterscheidungen zwischen manipuliertem und ›echtem‹ Bild, weswegen manche Autor_innen eine generelle Abkehr vom Glauben an die Authentizität des fotografischen Bildes unterstellen. Vanderbeke führt beispielsweise an, dass dokumentarische Comics erst dadurch möglich wurden, dass die Fotografie als Leitmedium einem rasanten Vertrauensverlust unterlag (vgl. 73). Wenngleich diese Entwicklungen keinesfalls zu leugnen sind, muss ein genereller und vollständiger Vertrauensverlust in die Fotografie als Medium mit der Fähigkeit zur ›authentischen‹ Bildproduktion mit Evidenzcharakter verneint werden. Hierbei ist es weniger entscheidend, eine fotografische Indexikalität im Produktionsprozess festzustellen, als zu konstatieren, dass die vorherrschende gesellschaftliche Verhandlung dem fotografischen Bild immer noch eben jenen Evidenzcharakter zuschreibt. Fotografien zählen beispielsweise nach wie vor in diversen institutionellen Kontexten als Beweis (vgl. Sturken/Cartwright, 17; Adams, 6). Unabhängig von einer möglichen Indexikalität wird die Verhandlung von Fotografie als ›authentisches‹ Bildmedium im hier vorliegenden Ansatz daher grundsätzlich als soziales Phänomen aufgefasst (vgl. Sturken/Cartwright, 17; Kress/van Leeuwen, 158). Des Weiteren ist zwar die technische Entwicklung bei der Bildbearbeitung und -fälschung als Faktor für einen etwaigen Vertrauensverlust nicht von der Hand zu weisen, jedoch haben diese Entwicklungen auch Strukturen geschaffen, die dem Medium neue Möglichkeiten der Beweiserstellung geben. Insbesondere die rasante technologische Entwicklung in den letzten Jahren im Bereich der Handy-Fotografie ermöglicht es nun auch Amateuren unmittelbar, ›Beweisfotos‹ von miterlebten Ereignissen zu schießen und diese auch sofort online zu verbreiten (vgl. Ritchin, 19, 161). Aktuell lässt sich diese Entwicklung in verschiedenen Fällen von Polizeigewalt gegen Afro-Amerikaner_innen nachvollziehen, in denen Handyaufnahmen im Internet und anschließend in anderen Massenmedien verbreitet wurden und auf diese Weise das politische Klima der USA nachhaltig beeinflussten. Es lässt sich somit konstatieren, dass sich die Verhandlung von fotografischem Material als ›authentisches Bild‹ zwar gewandelt, es aber nie eine grundlegende Abkehr von dem Prinzip gegeben hat (vgl. Adams, 11; El Refaie 2012, 159). Der Glaube an die Authentizität des fotografischen Bildes wird indes auch dadurch verstärkt, dass durch bestimmte Konventionen gezielt der Eindruck eines »natürlichen Blickes« und eine »Illusion von Natürlichkeit« erzeugt wird (vgl. Grittmann, 134f.). Dies geschieht unter anderem dadurch, dass der unmediatisierte Blick des Menschen so simuliert wird, dass anstelle von ›unnatürlichen‹ Blickwinkeln und extreme close-ups eine Position auf Augenhöhe eingenommen wird, die Aufnahme keinerlei offensichtliche technische Manipulation enthält und die fotografierten Subjekte kein Bewusstsein für die Kamera und die Fotograf_innen zeigen. Zudem wird das fotografische Bild dabei derart in seine Veröffentlichungskontexte wie Zeitungen oder Websites integriert, dass keine Aufmerksamkeit auf seine Medialität gelenkt wird (vgl. ebd.). Dies deckt sich mit Susan Sontags Bemerkungen: Sie führt an, dass die Erwartungshaltung in Bezug auf Fotografien von Gräueltaten bestehe, dass diese keinerlei Zeichen von Kunstfertigkeit enthalten dürften und sogar eine gewisse Amateurhaftigkeit diese Bilder als besonders authentisch erscheinen lassen könne (vgl. 2003, 23f.). Ferner führt Sontag an, dass Fotograf_innen als metaphorischer »spy in the house of love and death« möglichst unscheinbar bleiben und ihre Subjekte so aufnehmen sollen, dass diese sich des Vorgangs nicht bewusst seien (vgl. ebd., 50). Es bleibt also festzuhalten, dass die Fotos besonders authentisch erscheinen, in denen der Aufnahmeprozess und die fotografierende Person unscheinbar bleiben.

Die Momentabhängigkeit der Fotografie bringt aber auch mit sich, dass Fotograf_innen nur Ereignisse abbilden können, in denen es möglich war, eine Kamera mitzuführen und zu bedienen. Die besondere Stärke der manuellen Bilderstellung, wie sie im Comic vorliegt, liegt daher in der Möglichkeit, nicht aufgenommene Erlebnisse und Ereignisse nachträglich zu visualisieren (vgl. Vanderbeke, 76f.). Das Medium ›Comic‹ bedingt jedoch einen betont subjektiven Zugang zu faktualen Inhalten. Dadurch, dass die reproduzierten Ereignisse nicht nur schriftlich beschrieben, sondern auch manuell bildlich reproduziert werden, stellt sich hier der subjektive Charakter des Werkes stärker in den Vordergrund als bei rein schriftlichen Werken (vgl. Chaney, 7). Im Gegensatz zu Fotografien ist es bei Comic-Zeichnungen meist offensichtlich, dass sie nicht der ›natürlichen‹ vormedialen Form entsprechen, auch wenn das Werk tatsächliche Personen und Ereignisse behandelt. Durch das Gegenüberstellen von Authentizitätsanspruch und bildlicher Umsetzung problematisieren faktuale Comics daher Annahmen über Wahrheit, Authentizität und Repräsentation. Indem Comics dieses auch in anderen Medien problematische Verhältnis und ihren eigenen, subjektiven Charakter offensiv thematisieren, können sie wiederum eine individuelle Form von ›Authentizität‹ schaffen. Hatfield beschreibt die Strategie der gezielten Thematisierung der Grenzen eigener Möglichkeiten, die Realität abzubilden, um so das Vertrauen der Leser_in zu gewinnen, als »ironic authentication «, also ›ironische Authentifizierung‹ (vgl. Hatfield, 125f.). Gleichermaßen stellt auch der persönliche Stil einer jeden Künstler_in heraus, dass es sich um eine individuelle Subjektposition handelt. Aber auch dies kann wiederum als Strategie genutzt werden: Durch die direkte Bindung des Zeichenstils an die Person der Künstler_in, ›Graphiation‹ genannt (vgl. El Refaie 2012, 150; Kukkonen, 56), wird das Werk authentifiziert. Hierdurch wird die Authentizität wiederum stärker an die Person der Autor_in und das Wissen über die Entstehung als an einen inhärenten Wahrheitsgehalt des Mediums selbst geknüpft (vgl. El Refaie 2012, 137). Der Authentizitätsanspruch faktualer Comics wäre demnach also mit der Person der Autor_in und/oder Künstler_in, dem Vertrauen in ihre Zeugenschaft und damit auch mit der individuell-persönlichen Interpretation der beschriebenen Ereignisse einer Zeug_in verbunden. Hatfield beschreibt daher auch die Priorisierung einer persönlichen ›emotionalen Wahrheit‹ im faktualen Comic, die statt eines direkten repräsentativen Wahrheitsanspruches die persönliche Gefühlswelt und Sichtweise der Künstler_in in den Vordergrund stellt (vgl. Hatfield, 113, 117). Somit gelten Fotografien aufgrund ihrer scheinbar objektiven, weil teilautomatisierten, Bilderstellung als authentisch, während faktuale Comics nach den hier beschriebenen Ansätzen dann als authentisch wahrgenommen werden, wenn sie die Person der Künstler_in als Subjekt offensiv thematisieren. Dieser Gegensatz birgt für die Kombination beider Medien Reibungspunkte, welche es im Folgenden zu untersuchen gilt. Ehe jedoch die einzelnen Beispiele untersucht werden, muss noch eine weitere Eigenheit der Kriegsfotografie berücksichtigt werden.

Schockwirkung und Grauen in der Fotografie

Wenn Kriegsfotografie behandelt wird, bedeutet dies klassischerweise Bilder, die Opfer und Zerstörung zeigen und so auf die vorangegangene Gewalt verweisen, auch wenn selbst diese, wie Ayaß anführt, zunehmend aus der Kriegsberichterstattung verschwinden (vgl. 75). Bilder, die Momente der Gewalt und Verletzung konkret festhalten, sind seltener, da sie die Fotograf_innen großer Gefahr aussetzen. Zudem agieren die Täter_innen von Kriegsverbrechen häufig im Verborgenen und versuchen, Aufnahmen ihrer Taten zu unterdrücken (vgl. Linfield, 41). Der Glaube an die Authentizität fotografischer Bilder ist für die Kriegsfotografie in zweifacher Hinsicht zentral. Zum einen liegt eine wichtige Funktion der fotografischen Bildproduktion immer noch in der Möglichkeit, Kriegsgräuel zu dokumentieren, um Beweise zu liefern, auf deren Grundlage sich Kriegsverbrecher_innen vor Gericht anklagen lassen (vgl. Brothers, 161; Müller, 421). Zum anderen ist auch der Schock, den die Betrachter_innen drastischer Kriegsfotografien erfahren, an die Annahme eines authentischen Bildes gebunden. Die Wirkung der Fotografie, die Betrachter_innen mit dem plötzlichen Erkennen des Abgebildeten ›durchbohrt‹, stützt sich derart auch auf die Annahme der fotografischen Authentizität des Abgebildeten. Roland Barthes bezeichnet diesen Effekt als punctum und beschreibt ihn als »this element that rises from the scene, shoots out of it like an arrow, and pierces me« (2000, 26). Hirsch konkretisiert den Begriff weiter als

that prick and shock of recognition, that unique and very personal response to the photographic detail that attracts and repels us at the same time. (2012, 4)

Ein wesentlicher Teil des Schocks besteht eben darin, dass das Betrachtete als ›echt‹ erkannt wird.

Des Weiteren unterliegen ›Schockfotos‹, also solche, die beispielsweise aufgrund ihrer expliziten Gewaltdarstellung großes Potenzial bieten, »um uns zu erschüttern« (Barthes 2013, 135), häufig dem Vorwurf des Voyeurismus und des Bruchs eines gesellschaftlichen Tabus in der Darstellung leidender Menschen (vgl. Miller, 148; Linfield, 40–42). Auch dies geschieht auf Grundlage der Annahme, dass die Bilder das Leiden realer Personen zeigen. Insbesondere Susan Sontag wirft der Fotografie in diesem Zusammenhang vor, zwar zu schockieren, aber nicht erklären zu können und somit langfristig ungeeignet zu sein, um über Missstände in der Welt aufzuklären (vgl. 2003, 80). Aus der starken emotionalen Aufladung von Kriegsbildern folgt ein zentrales Dilemma: Die Bilder funktionieren sowohl als Beweis und als moralischer Handlungsaufruf, aber gleichzeitig können sie zu manipulativen und/oder propagandistischen Zwecken missbraucht werden (vgl. Linfield, 50; Müller, 406f.). Zudem wird häufig angeführt, dass Fotografien trotz ihrer vermeintlichen Schockwirkung dennoch das dargestellte Leid nicht in seiner Gänze wiedergeben können, auch wenn sie genau diese Illusion erzeugen. Insbesondere am Beispiel fotografischen Materials der befreiten Konzentrationslager wird dies deutlich (vgl. Hirsch 2001, 225). So weist auch Sontag in ihrem Essay Regarding the Pain of Others nachdrücklich darauf hin, dass selbst die schockierendsten Fotografien nie den tatsächlichen Horror eines Ereignisses vermitteln können (vgl. 113). Gleichzeitig vermag es die Fotografie bei aller Kritik wie kein zweites Medium, Grauen und Leid ›sichtbar‹ zu machen und auf diese Weise in die öffentliche Wahrnehmung zu überführen (vgl. Linfield 38; Ritchin 47, 63). Fehlen derartige Darstellungen im öffentlichen Diskurs, dann bleiben Kriege und Konflikte für eine breitere Öffentlichkeit abstrakt und werden weitaus weniger wahrgenommen. Müller beispielsweise gibt an, ein »Krieg ohne Opferdarstellungen wirkt virtuell und irreal, wie ein Spiel, das nicht ernst genommen werden muss.« (406)

Fotografien werden wie bereits diskutiert, vereinfacht gesagt, als ›natürliche‹ Bilder rezipiert und ›erkannt‹, während Zeichnungen als abstrakte Transformation dekodiert werden müssen und daher einen deutlich größeren Teil an Bedeutungskonstituierung auf Seiten der Betrachter_in erfordern. Dieser Unterschied wirkt sich weiter auch auf die persönliche Beziehung der Betracher_in gegenüber gezeigten Subjekten aus. Ein Gefühl des Schreckens bei der Betrachtung von Kriegsdarstellung wird laut Müller ausgelöst

durch Identifikation mit den abgebildeten Opfern einerseits sowie andererseits durch die visuell ausgelöste Imagination der den Dargestellten zugefügten Schmerzen und Grausamkeiten, die von den Betrachtenden nachvollzogen werden. (410)

Gezeichnete Bilder verfügen, wie Barthes bemerkt, über eine »projektive Kraft« (1977b, 44f.), die sie als eine universelle Identifikationsfläche konstituiert, wie McCloud später am Beispiel des Comicbildes deutlich macht (vgl. 31, 42, 46). Während Comicfiguren häufiger im Cartoonstil als abstrahierte und damit universelle Figuren gezeichnet werden, zeigen Fotografien grundsätzlich bestimmte Individuen. Daraus folgt die Tendenz, fotografierte Subjekte als ›Andere‹ wahrzunehmen, anstatt sich mit den gezeigten Personen direkt zu identifizieren. Diese Anlage lässt sich auch in der Geschichte der Fotografie beobachten, in der die Kamera lange Zeit als wissenschaftliches Instrument angesehen wurde, um das Fremde, Exotische und Abnormale zu dokumentieren (vgl. Sturken/Cartwright, 96, 103; Sontag 2003, 16). Eine Identifikation mit den dargestellten Opfern ist jedoch elementar für Schock und Mitleid, wie Müller weiter anführt: »Für die Wirkungsmacht des visuellen Horrors ist entscheidend, ob sich die Betrachtenden mit den Abgebildeten identifizieren können.« (410) Hierfür sei neben dem Bild selbst auch der politische Rezeptionskontext von großer Bedeutung.

Fotografie und Comic als Medienkombination

Es stellt sich nun angesichts der zu analysierenden Werke die Frage, wie die beiden Bildtypen miteinander interagieren, wenn sie innerhalb eines Comics einander gegenübergestellt werden und ob die beschriebenen Annahmen zu Darstellungs- und Rezeptionskonventionen in den Werken selbst übernommen oder von diesen unterlaufen werden. Comics können Fotografien als Reproduktion des tatsächlichen Fotos enthalten oder aber diese als eine Zeichnung remediatisieren. Fotografien können in beiden Fällen Teil einer dargestellten Szene sein, sie können als Ganzes direkt in die Panelsequenz integriert werden oder als Paratexte oder Supplemente beigefügt sein. Autor_innen wie Joe Sacco oder Alison Bechdel geben zudem auch an, Fotografien als Vorlage für ihre Zeichnungen zu nutzen. Am Beispiel von The Photographer sowie Waltz with Bashir soll nun untersucht werden, wie diese Werke, in denen reproduzierte Fotografien in grafische Literatur integriert sind, Kriegsdarstellungen vermitteln.

Im Intermedialitätsmodell von Rajewsky stellt der Comic an sich bereits eine Medienkombination dar. Es ist jedoch anzunehmen, dass Comics, wie auch Film oder Theater, als ein synkretistisches Medium und nicht als Kombination zweier grundsätzlich alleinstehender Medien wahrgenommen werden (vgl. Wolf 2008, 254; Rajewsky, 56; Rippl/Etter, 194). Werden nun aber Fotografien in einen Comic integriert, so ist anzunehmen, dass diese als distinkte Medien wahrgenommen werden. Somit liegt in diesem Fall nach Rajewsky tatsächlich eine Medienkombination vor (vgl. Rajewsky, 19; Schmitz-Emans, 55; Hillenbach, 158). In der folgenden Analyse wird vor allem von Interesse sein, inwieweit die Autor_innen sich in der Fotografie eines ›natürlichen Blickes‹ nach Grittmann im Sinne einer ›Illusion von Natürlichkeit‹ bedienen, wie sie die Schockwirkung des fotografischen Bildes einsetzen und wie sich das Verhältnis von Einzelbild und narrativer Sequenz gestaltet. Die übergeordnete Fragestellung hierbei lautet, wie sich gezeichnetes und fotografiertes Bild in der Darstellung von Gewalt unterscheiden. Die hier vorliegende Analyse nimmt zwei Werke in den Blick, in denen fotografische Bilder in Form einer Medienkombination nicht bloß als Paratexte, Illustrationen oder thematisierte Artefakte integriert sind, sondern auch als Einzelbilder auf der Handlungsebene gleich Panels Teil der narrativen Sequenz des Comics sind. Inferenzprozesse zwischen den Einzelbildern, welche die Grundlage des Erzählens im Comic bilden, finden hier auch heteromedial zwischen Comicpanel und Fotografie statt (vgl. Wolf 2006, 18).

Abb. 1: Sequenz aus Fotografien und Textboxen als Gesprächsdarstellung in The Photographer.

Zwischen Comic und Fotografie. The Photographer: Into War-Torn Afghanistan with Doctors Without Borders

The Photographer: Into War-Torn Afghanistan with Doctors Without Borders erzählt die Geschichte des Fotografen Didier Lefèvre, der 1989 eine Hilfsmission von Ärzte ohne Grenzen nach Afghanistan begleitete, wo sich die Sowjetunion im Krieg mit den afghanischen Mujaheddin befand. Das Werk setzt sich etwa jeweils zur Hälfte aus Lefèvres Fotografien sowie Comic-Panels von Emmanuel Guibert zusammen, dem Lefèvre seine Erlebnisse zehn Jahre später berichtet. Als dritte Person zeichnet Frédéric Lermercier für das Layout verantwortlich. Das knapp vier Monate von Lefèvres Aufenthalt umspannende Werk greift hierbei auf die Konventionen verschiedener Genres zurück, wie beispielsweise Memoiren, Reportage und Reisebericht (vgl. El Refaie 2014, 58). Durch die Integration in eine Sequenz tragen hier sowohl Comicpanels als auch Fotografien gleichermaßen zur Bildung einer Gesamtgeschichte bei (vgl. Pedri). Die Comic-Panels werden hierbei, wie Guibert im Interview mit Wivel selber anführt, vor allem genutzt, um die Lücken in der Erzählung, die nicht fotografisch dokumentiert werden konnten, zu schließen (vgl. Wivel, 110; El Refaie 2012, 162). Was zunächst nach einer klaren hierarchisch höheren Verortung der Fotografien gegenüber den Panels klingt, stellt sich in der Praxis ausgeglichener dar, da für einige Teile der Handlung nur wenige Fotografien existieren und die Comic-Panels im Gegensatz zu den Fotografien zusätzlich über Schrift verfügen (vgl. Schmitz-Emans, 69). Die Fotografien ›sprechen‹ nur in wenigen Fällen, insofern sie als Sequenz mit unbebilderten Textboxen alternieren (Abb. 1). Sprache wird hier in Verbindung mit den Fotografien also nur über Sequenz und nicht durch Integration ins Einzelbild genutzt. Die fotografischen Bilder werden meist durch die Comic-Panels sequenziell gerahmt und so mit zusätzlicher Bedeutung versehen. Teilweise finden sich aber auch längere, rein fotografische Sequenzen, die Bewegung und Veränderung der Akteure suggerieren. Die Comic-Panels stellen oftmals die Entstehung der Bilder dar, stärken aber auch die Kohäsion zwischen beiden Bildtypen. Fotografie wird also gezielt thematisiert und es wird inhaltlicher Zusammenhang zwischen Comic-Panels und Fotografien hergestellt. Manche Sequenzen zeigen beispielsweise Lefèvre im Akt des Fotografierens, während die darauf folgende Fotografie das in diesem Moment aufgenommene Bild darstellen soll (Abb. 2). Im Sinne McClouds könnte man hier einen »aspect-to-aspect« Panelübergang zwischen beiden Bildtypen annehmen, die auch über die Mediengrenze hinweg verschiedene Aspekte desselben Momentes darstellen (vgl. McCloud, 72).

Abb. 2: ›Gespiegelte‹ gegenseitige Darstellung von Fotografie und Zeichnung in The Photographer.

Demgegenüber enthalten die Textboxen Lefèvres Erzählungen als ›voice-over‹ (vgl. Kuhn/Veits, 243), wie Guibert sie Jahre später erfuhr. Diese sind meist im Präsens erzählt, bilden eine zeitlich einheitliche Ebene und kommentieren die Fotografien in ihren Entstehungsmomenten.

Die Integration der Fotografien in das Werk ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie nach Mitchell als »Metabilder« präsentiert werden, also Bilder, die ihren eigenen Herstellungsprozess explizit machen (vgl. 1994, 35; El Refaie 2014, 33f.). Sie sind daher grundsätzlich so eingebettet, dass die Kontaktbögen mit den einzelnen Abzügen der Fotografien sichtbar sind; oft sind sogar vollständige Kontaktbögen mit einer Vielzahl nur marginal unterschiedlicher Bilder des gleichen Motivs enthalten. Dieser »Exzess« (vgl. El Refaie 2014, 31) an Bildwiederholung unterläuft die Erwartung an die Fotografie als Darstellung privilegierter Einzelmomente und macht den Auswahlprozess, der einer fotografischen Veröffentlichung üblicherweise voraus geht, explizit. Demgegenüber weisen viele der Bilder Filzstiftmarkierungen auf, die ebenfalls auf einen vorangegangen Selektionsprozess dieser hindeuten. Wenngleich die Fotografien selbst dem von Grittmann beschriebenen fotojournalistischen Standard des ›natürlichen Blickes‹ folgen (vgl. El Refaie 2014, 33), bricht diese Form der Integration entschieden damit und verhindert eine Rezeption der Fotografien als direkte Realitätsabbilder. Die Strategie, die Konstruiertheit des fotografischen Bildes zu thematisieren, ist nicht einseitig als Dekonstruktion des Authentizitätsanspruches zu verstehen. Gleichzeitig affirmiert diese Offenlegung des Produktionsprozesses auch die ›Echtheit‹ der Bilder, indem sie analog zu dem, was Hatfield bei Comics als »ironische Authentifizierung« (vgl. 125f.) beschreibt, dadurch ›echt‹ wirken, dass keinerlei übergeordneter Echtheitsanspruch erhoben, sondern die eigene Begrenztheit thematisiert wird. Darüber hinaus verweisen die Relikte des Arbeitsprozesses wie Kontaktbögen und Markierungen auch indexikalisch auf ihren Produktionsprozess, was weitere ›Beweise‹ für die Echtheit der Bilder liefert. Zudem verweisen diese Marker des fotografischen Handwerks so auch auf den Fotojournalismus als solchen, der allgemein als authentisches Genre dargestellt wird. Eine grundsätzliche ›Illusion von Natürlichkeit‹ wird zwar durch den Metabildaspekt verhindert, jedoch bieten die Bilder selbst eine Perspektive auf Augenhöhe und verzichten auf zusätzliche technische Manipulation. Zusammen mit der narrativen Rahmung, die ebenfalls die Entstehung der Fotografien thematisiert, werden die Bilder den Leser_innen somit zwar nicht primär durch den Anschein von Natürlichkeit als authentisch vermittelt, sondern vielmehr durch die Offenlegung der eigenen Konstruiertheit. Dennoch bleibt gleichzeitig die Fotografie als potenziell authentische Praxis erhalten. Auf diese Weise werden die Fotografien durch ihre nach Hatfield ironische Authentifizierung, ihre narrative Rahmung und eben auch durch die soziale Aushandlung von Fotografie allgemein als authentische Bilder verhandelt.

Abb. 3: GroĂźe fotografische Darstellung sterbender Kinder in The Photographer.

Betrachtet man nun die Momente in der Handlung, die sehr drastische Abbildungen menschlichen Leids zeigen, stellen gerade diese Bilder den Metabildaspekt jedoch eher zurück. Hier scheint ein ›natürlicher‹ Blick auf das Geschehen stärker im Fokus zu stehen als im restlichen Werk. Der Metabildaspekt schafft hier keine Distanz und stellt sich nicht der Schockwirkung der Bilder in den Weg. Zudem werden unter den einzelnen Fotografien besonders schockierende Bilder durch das Layout klar privilegiert. Die Autoren bilden diese Fotos größer ab als andere, weniger explizite Darstellungen des gleichen Motivs. In Abb. 3 sieht man ein Foto, das eine halbe Seite einnimmt. Hier sind zwei blutverschmierte Kinder unterschiedlichen Alters zu sehen und es ist dem Bild nicht klar zu entnehmen, ob diese tot oder lebendig sind. Um sie sitzende Erwachsene sind nur andeutungsweise zu erkennen, wodurch ein Eindruck von Verlorenheit und Hilflosigkeit der Kinder erzeugt wird. Zudem blickt hier eines der Kinder direkt in die Kamera und erzeugt so eine »direkte Ansprache« des Betrachters, was eine stärkere imaginierte Beziehung zwischen fotografiertem Subjekt und Betrachter entstehen lässt (vgl. Kress/van Leeuwen, 117f.). Diese Elemente laden das Bild stark emotional auf und schaffen das Identifikationspotenzial, welches Müller als Bedingung für die Erfahrung visuellen Horrors nennt (vgl. 410). Somit erscheint dieses Bild besonders geeignet, eine starke Reaktion in seinen Rezipient_innen auszulösen. Wenn man die Fotografie nun mit Aufnahmen derselben Szene auf der vorherigen Seite vergleicht (Abb. 4), wird schnell ein Unterschied deutlich. Hier findet keine direkte Ansprache statt: Die anwesenden Erwachsenen kümmern sich um die Kinder, und es wird deutlich, dass diese am Leben sind. Dies schafft weitaus weniger Identifikationspotenzial und daher auch weniger Potenzial für visuellen Horror.

Abb. 4: Kleinere fotografische Darstellung desselben Motivs der sterbenden Kinder in The Photographer.

Die Fotografien aus Abb. 4 sind zudem im Layout deutlich kleiner. Es ist also exemplarisch festzustellen, dass Guibert und Lemercier das Bild mit der größten emotionalen Wirkungsmacht durch die Größe der Abbildung in den Vordergrund rücken. Das gleiche Prinzip lässt sich bei der Abbildung eines Jungen mit Schusswunde im Gesicht einige Seiten vorher beobachten (Abb. 5). Auch hier nimmt eine explizite Darstellung der Verwundung großen Raum ein. Das Foto ist groß im Zentrum der Seite zu sehen und wird von einer Sequenz darüber und darunter eingefasst, mit jeweils einer Textbox an allen vier Ecken der Seite und kleineren Fotos dazwischen. Während sich diese beiden Sequenzen in ihren Rahmen überlagern, ist das große Foto in der Mitte durch einen deutlichen gutter getrennt, was ihm eine besonders prominente Stellung verleiht. Das Foto selbst ist, wie Hillenbach beschreibt, so geartet, dass »die Position des Fotografen eine ähnliche ist, wie die der besorgten Männer«, die um den Jungen zu sehen sind – so erhält »die Fotografie […] ein emphatisches Moment« (179). Die fotografische Darstellung verletzter, leidender und sterbender Kinder wird hier also in den Vordergrund gerückt, wodurch Bilder privilegiert werden, die besonders geeignet erscheinen, in den Rezipient_innen sowohl Angst und Grauen als auch Mitleid auszulösen. Diese Bilder sind besonders erschreckend, da Kinder allgemein als ›unschuldig‹ gelten: »[S]ie müssen ihren Schmerz ertragen, ohne dass sie einen Fehler oder gar ein Verbrechen begangen hätten.« (ebd.) Es lässt sich feststellen, dass es die Fotografien und nicht die Zeichnungen sind, die besonders drastische Inhalte explizit abbilden. Es wird beispielsweise die Behandlung eines kleinen Mädchens mit einer verbrannten Hand (vgl. Hillenbach 129–131) durch eine Vielzahl von Einzelbildern rein fotografisch dargestellt. Der Fokus liegt jeweils auf dem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck. Zeichnungen und Schrift leiten diese Sequenz lediglich ein; anschließend sprechen die Bilder ›stumm‹ für sich. Der Fokus auf Fotografie zur Darstellung drastischen Leidens ist zum Teil natürlich auch auf die Positionen des Fotografen und des Zeichners als zeitlich nachgeordnete Zeugen zurückzuführen: Guibert, dessen Schaffen auf der oralen Überlieferung Lefèvres beruht, versucht hier bewusst nicht, mit dem Fotografen zu konkurrieren. Er hält seine Zeichnungen oft einfach mit klarer Linienführung und benutzt monochrome Hintergründe. Er lässt der Leser_in viel Raum, die Ereignisse aus Lefèvres Erzählung zu imaginieren, anstatt sie mit Detailfülle zeichnerisch festzulegen. Momente persönlichen Leids, die Lefèvre nicht fotografieren konnte oder wollte, sind somit in der Zeichnung Guiberts schemenhaft und abstrakt gehalten.

Abb. 5: Zentrale Anordnung einer groĂźen Fotografie eines Jungen mit Schusswunde im Gesicht in The Photographer.

In einer Szene beschreibt Lefèvre, dass er sich bewusst dagegen entscheidet, die Behandlung eines Mädchen mit einer schweren Wirbelsäulenverletzung durch ein Schrapnell festzuhalten, zumal der Raum zum Fotografieren zu dunkel sei (Abb. 6). Die Comic-Sequenz zeigt hier hauptsächlich die dunklen Silhouetten der Figuren. Nur durch die begleitenden Sprechblasen und Textboxen erfährt die Leser_in, dass das Mädchen querschnittsgelähmt ist. Das Projektil, das ihre Wirbelsäule verletzt, wird im Text dabei als nicht größer als ein Reiskorn beschrieben. Der Zusammenhang zwischen der winzigen Wunde, die Lefèvre zunächst nur als Fleck erscheint, und den Konsequenzen für das Mädchen entzieht sich hierbei einer angemessen fotografischen Wiedergabe. Während ein Foto nur den vermeintlichen ›Fleck‹ zeigen würde, könnte es damit die Schwere der Konsequenzen für das Mädchen nicht darstellen. Die Szene endet damit, dass Lefèvres sich in die Ecke der Hütte setzt und leise weint. Auch dies ist dunkel und monochrom gehalten. Es wird Grauen bei den Leser_innen evoziert und deren Mitgefühl dadurch angesprochen, dass die Ereignisse nur sprachlich beschrieben und visuell angedeutet, nicht aber tatsächlich erkennbar dargestellt werden. Guibert versucht hier nicht, die Schrecken, die Lefèvre erlebte, direkt zu visualisieren, und verzichtet somit darauf, sich in Bezug auf Realismus mit der Fotografie zu messen oder zu versuchen, die Verletzung, die fotografisch nicht festgehalten wurde, zeichnerisch zu interpretieren. Guibert lässt den Leser_innen viel Spielraum, sich ein eigenes Bild der Ereignisse zu machen. Die Zeichnungen konkurrieren hinsichtlich der Explizitheit von Verwundung und Gewaltauswirkungen nicht mit der Fotografie. Es bleibt hier eher der Leser_in überlassen, sich das Ausmaß des menschlichen Leids im Rezeptionsprozess zu erschließen, anstatt wie von den Fotografien ›durchbohrt‹ zu werden. Die Autoren setzen folglich Fotografie für besonders drastische Motive ein und bestätigen auf diese Art die Verhandlung von Fotografie als Medium mit besonders ausgeprägter Schockwirkung. Die Einbettung der Fotografien als Metabilder verhindert hierbei nicht, dass sie ein punctum in Barthes’ Sinne erzeugen.

Abb. 6: Szene aus The Photographer, in der Lefèvre sich bewusst gegen ein Fotografieren entscheidet und den Raum als »zu dunkel« beschreibt.

Während die Fotografien wie beschrieben schon für sich gestellt sehr wirkmächtig sind, werden sie durch die Einbettung in die narrative Sequenz des Comics weiter gerahmt und kontextualisiert. So erfahren die Leser_innen, dass Lefèvre vor dem Fotografieren um Erlaubnis fragt und dass der in Abb. 3 gezeigte Junge später stirbt. Die Kritik Sontags, dass Fotografien nicht erklären können, ihnen also eine erzählerische Komponente fehlt, wird durch die narrative Rahmung der Fotografien gezielt ausgeglichen. Die konkret aufeinander folgenden Panelsequenzen, aber auch die Integration im Gesamtwerk, verleihen ihnen einen Kontext, der den Rezeptionsprozess prägt. Gleichzeitig funktionieren die Fotografien aber auch als Authentifizierung und rahmen die Comicbilder ihrerseits im Hinblick auf deren Rezeption. Wie weiter oben beschrieben werden die Fotografien zwar als Metabilder dekonstruiert, diese Form der ›ironischen Authentifizierung‹ verleiht ihnen und dem Gesamtwerk am Ende aber wieder einen neuen Echtheitsanspruch. Die Medienkombination von Comic und Fotografie wird hier also effektiv genutzt, um das Gesamtwerk über Fotografie zu authentifizieren und ihm Schockpotenzial über besonders drastische Bilder zu verleihen. Die Comic-Panels rahmen und kontextualisieren hierbei die Fotografien und geben Raum zur Darstellung von Ereignissen und Erlebnissen, die sich nicht per Kamera aufnehmen lassen.

Fotografie als Schockelement. Waltz with Bashir: A Lebanon War Story

Eine ähnliche Kombination von Comic und Fotografie lässt sich in der Comic-Ausgabe von Ari Folmans und David Polonskys Waltz with Bashir: A Lebanon War Story beobachten, wenngleich hier Fotografien im Vergleich zu The Photographer deutlich weniger, nämlich nur konzentriert am Ende eingebettet sind. Die Geschichte, welche vor allem durch den gleichnamigen Animationsfilm Bekanntheit erlangte, behandelt das Kriegstrauma Folmans, der als israelischer Soldat während des Libanon-Krieges 1982 die Massaker christlich-libanesischer Milizionäre in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila miterlebte und anschließend seine Erinnerung daran verlor. Nach dem in Comicform erzählten Aufarbeitungsprozess endet die Geschichte mit der Wiedererlangung von Folmans Erinnerung, dargestellt durch die Integration von fünf Fotografien des Fotojournalisten Robin Moyer (Abb. 7).

Abb. 7: Finale Doppelseite in Waltz with Bashir bestehend aus fĂĽnf Fotografien des Fotografen Robin Moyer.

Der Film nutzt an dieser Stelle Realfilmaufnahmen aus Nachrichtensendungen. So wechseln beide Medien zu ihrem jeweiligen Gegenstück der zumindest teil-maschinellen Bildproduktion. Diese Medienkombination und das Umschlagen von Comic zu Fotografie hat mehrere Funktionen. In der Logik der Erzählung funktioniert der Wechsel zur Fotografie als konzeptuelle Metapher (vgl. Lakoff/Johnson, 1980; Sonesson, 26; Kövesces, 63–65), indem das abstrakte Konzept ›Erinnerung‹ hier durch das konkrete Konzept ›Fotografie‹ metaphorisch strukturiert wird. Die Comic-Sequenz, die den Wechsel des Mediums einleitet, zeigt Folman, der das Flüchtlingslager betritt; das Bild fokussiert sich immer stärker auf seinen Kopf und seine Augen. Es wird also impliziert, dass die folgenden Bilder das darstellen, was Folman in diesem Moment gesehen hat. Hier wird zunächst ›erleben‹ mit ›sehen‹ gleichgesetzt, woran die Metapher »Fotografie ist Sehen« anschließt. Dieses Phänomen wird dadurch erst möglich gemacht, dass die hier integrierten Fotografien vollständig den ›natürlichen Blick‹ simulieren. Dies trifft hier auf die Konvention zur metaphorischen Darstellung von Erinnerung durch Fotografie, welche oftmals bereits selbst als Medium für das Speichern oder die Externalisierung von persönlichen Erinnerungen beschrieben wurde (vgl. Haverty Rugg, 23; Ruchatz, 367). Während die im Film eingespielten Szenen als ›Nachrichten‹ zu erkennen sind und ihre Medialität somit stets bewusst gemacht wird, erzeugt der Comic einen Übergang zu einer ›natürlichen‹ Betrachtungsweise. Die Tatsache, dass es sich um das Werk eines Fotografen handelt, der in keinerlei Verhältnis zu Folman steht und dass die Bilder daher bestenfalls repräsentativ für dessen Erlebnisse sein mögen, wird durch die Logik der sequenziellen Anordnung gezielt kaschiert. Die Fotografien werden also als Folmans persönliche Erinnerungen gerahmt. Wie in The Photographer markiert die Integration von Fotografien auch den faktualen Anspruch des gesamten Werkes, was hier noch stärker durch die ›Illusion von Natürlichkeit‹ gefördert wird. So schreibt Petersohn auf Spiegel Online in seiner Rezension: »Der fiktive Charakter der Graphic Novel zerbricht: All das ist wirklich geschehen.« Diese naive Lesart beider Medien durch Spiegel Online ist hier als symptomatisch für die generelle gesellschaftliche Verhandlung von Fotografien als ›authentische‹ Bilder zu sehen.

Neben der Metapher für Folmans Erinnerung und der Markierung von Faktualität stehen diese schockierenden Fotos aber auch stellvertretend für Folmans Traumatisierung. Der Schock der Leser_in bei der Betrachtung der Fotografien im Comic simuliert hier Folmans eigenen Schock, als er die Stätte des Massakers betrachtet. Während die Zeichnungen vorher die Grausamkeit nur andeuteten, liefern die Fotografien nun in ihrer expliziten Opferdarstellung den Grund, weswegen Folman diesen Teil seiner Erinnerung verloren hatte. Der Comic nutzt den plötzlichen und unvermittelten Wechsel zur Fotografie als Mittel, Folmans traumatisches Erlebnis medial performativ darzustellen, indem die Rezipient_in ebenfalls mit einem plötzlichen Schock konfrontiert wird. Die Fotografien selbst bedienen sich hier klassischer Motive der Kriegsfotografie: ein weinendes ›Klageweib‹ auf der einen und Bilder ermordeter Männer auf der anderen Seite (vgl. Didi-Huberman, 5; Müller, 420). Diese Gegenüberstellung der Trauer und des Leids der Überlebenden und der Entwertung menschlichen Lebens durch die Behandlung der sterblichen Überreste wie Abfall (vgl. ebd., 421) birgt ohne Frage starkes affektives Potenzial, um die Leser_innen, in Barthes’ Terminologie, zu ›durchbohren‹. Nach diesen Fotografien wird nicht zurück zu Comic-Panels gewechselt, die das Gezeigte erklären oder zumindest kontextualisieren könnten. Während die Erzählung auf diesen Moment hinführt, werden die Rezipient_innen anschließend mit den Bildern alleingelassen. Wenngleich die Erinnerung an das Massaker zurückerlangt und über Fotografie dargestellt werden kann, entzieht sich die Interpretation des Erlebten dennoch einer narrativen Einordnung. Das Werk macht sich also die Fähigkeit von Fotografie zu Eigen, das Grauen zu evozieren, nicht aber zu erklären und verzichtet darauf, diesen Umstand durch Comic-Erzählung auszugleichen. Gleichermaßen werden die fotografierten Palästinenser hier distanziert als ›Andere‹ abgebildet. Ein Dialog oder ein Einblick finden, wie auch im Rest des Bandes, nicht statt. Waltz with Bashir oszilliert in der Traumadarstellung zwischen einer finalen Wiedererlangung des Erlebten, welche durch Fotografie dargestellt wird und der Tatsache, dass die einzelnen Fotografien am Ende des Buches ohne weitere narrative Einordnung bleiben. In sich folgen die verschiedenen Fotografien einer Dramaturgie: Auf der rechten Seite findet sich ein großes Foto einer klagenden Frau, das den Blick der Leser_innen sofort auf sich zieht. Der Blick dieser Frau leitet als Vektor direkt auf das erste Panel auf der linken Seite. Hier finden sich zunächst zwei einzelne Leichen, die Anzahl der toten Körper steigert sich allerdings von Bild zu Bild. Gleichzeitig entfaltet sich keine Narration, die es über eine Zustandsveränderung ermöglichen würde, einen Sinn zu finden.

Abb. 8: Gezeichnete Darstellung einer unter Schutt begrabenen Mädchenleiche in Waltz with Bashir.

Bevor jedoch Folman seine Erinnerung zurückerlangt und der Comic zur Fotografie wechselt, wird der Weg hierhin in Comic-Form erzählt. Die gestaltet sich als Wechselspiel zwischen Alpträumen, Flashbacks und Halluzinationen von Folman selbst und seinen ehemaligen Kameraden und deren Aufarbeitungsprozess. Das Werk beginnt beispielsweise mit einer Sequenz, in dem ein wiederkehrender Alptraum von Folmans Freund Boaz gezeigt wird. In diesem wird Boaz von den Hunden verfolgt, die er als Soldat erschießen musste. Danach wechselt die Erzählung zum Gespräch der beiden, in dem sie den Traum und das Erlebte diskutieren. Solche Traumund Erinnerungssequenzen sind meist ohne Sprache gehalten. Auf diese Weise wird eine Dynamik zwischen visueller Darstellung der Kriegserlebnisse und deren Ausdeutung Folmans im Gespräch mit ehemaligen Weggefährten und Expert_innen entfaltet. Die Funktion des Comics liegt vor allem darin, die subjektiven Erinnerungen, Träume und Flashbacks Folmans und seiner ehemaligen Kameraden sichtbar zu machen, eine explizite Darstellung von Gewalt findet kaum statt. Ähnlich wie in The Photographer wird das Ausmaß menschlichen Leids in den Comic-Panels in erster Linie angedeutet, anstatt es direkt abzubilden. Zeichner Polonsky stellt hier einen ›realistisch‹ gehaltenen Zeichenstil einer evokativen Einfärbung gegenüber. Die anfängliche Alptraumsequenz ist beispielsweise in einem Sepiagelb gehalten. Dies betrifft sowohl Träume und Flashbacks, aber auch Erinnerungen. Die Abgrenzung zwischen tatsächlich Erlebtem, dessen subjektiver Wahrnehmung sowie Träumen und Halluzinationen wird daher gezielt unterlaufen. Die Problematik einer solchen Abgrenzung wird auch in Folmans Diskussionen immer wieder thematisiert. Die Szenen, welche die Aufarbeitung des Erlebten zeigen, sind im Gegensatz dazu ›realistisch‹ koloriert. Diese Farbcodierung steht auch bei der Darstellung der Erinnerung an Gewalt und Kriegsverbrechen im Vordergrund. Als Folmans ehemaliger Kamerad Carmi von einem Folterlager der Phalangisten berichtet, ist die Szenerie giftgrün getönt. Die betont unnatürliche und evokative Darstellungsweise deckt sich so mit Carmis Aussage: »The place was like an acidtrip.« (87) Die Darstellung des Lagers bleibt dabei abstrakt, und die Betrachter_in sieht die blutigen Körper der Folteropfer nur ansatzweise. Lediglich ein in einem Formaldehydglas schwimmender Augapfel fungiert als Visualisierung von Carmis Bericht über ausgestellte Leichenteile. Das wahre Ausmaß über das Grauen in diesem Folterlager bleibt also den Leser_innen im Inferenzprozess zu erschließen. Ein weiterer Soldat, Ron Ben-Yishai, berichtet kurz vor Ende des Werkes und der Wiedererlangung von Folmans Erinnerung, wie er das Flüchtlingslager betritt und die im Schutt begrabene Leiche eines kleinen Mädchens findet (Abb. 8). Die Szene ist wie die meisten Erinnerungssequenzen in einem monochromen Sepiagelb gehalten. Die Mädchenleiche und die Steine, die sie bedecken, ähneln einander in Farbe wie Textur und lassen die Überreste des Kindes und die Umgebung eins werden. Auch hier wird eine ›realistische‹ Darstellung des toten Mädchens verweigert: Es bleibt an den Rezipient_innen, sich diese Begegnung vorzustellen. Mit dieser Stilisierung nutzen Folman und Polonsky das Medium ›Comic‹, um Erinnerung als subjektives und von persönlicher Interpretation und Affekt geprägtes Phänomen zu inszenieren und mentale Bilder zu visualisieren. Dokumentarische Fotografie würde sich in ihrer klareren Darstellung nicht wie Comics eignen, um Grenzphänomene der Erinnerung darzustellen – einzig in der Kunstfotografie ist dies denkbar. Über expressive zeichnerische Darstellungen finden die Autoren wie bei The Photographer eine Herangehensweise der Traumadarstellung, die die Erschließung des eigentlichen Grauens zu großen Teilen über den Prozess der closure der Rezipient_in überlässt. Die Comic-Panels zeigen meist nur Fragmente der Kriegsgräuel und halten diese in einem sehr expressiven Stil. So bleibt es an den Leser_innen, die tatsächlichen Ereignisse des Libanonkrieges zu inferieren. Auf diese Weise wird in Waltz with Bashir das Medium ›Comic‹ stärker dafür genutzt, die Erfahrungen Folmans und seiner Kameraden künstlerisch zu verarbeiten und auf diese Weise kommunizierbar zu machen, als die Eindrücke selbst natürlich abzubilden. Im Comic finden sich diverse Alptraum- und Flashbacksequenzen, die als mentale Prozesse nicht aufzuzeichnen, sondern lediglich durch künstlerische Transformation visualisierbar sind. Der Wechsel zur Fotografie steht daher im starken Kontrast zum Rest des Werkes, und die Leser_innen werden mit der vollen emotionalen Wucht der angenommenen Authentizität der fotografischen Bilder plötzlich getroffen.

Fazit

Wie auch The Photographer nutzt Waltz with Bashir also Comic-Panels, sowohl um zu erklären und einzuordnen als auch Erfahrungen zu visualisieren, die nicht fotografisch erfasst werden konnten. Dies bezieht sich auf subjektive, mentale Phänomene wie Erinnerung und insbesondere das traumatische Erlebnis Folmans, aber auch praktische Gründe wie die Lichtverhältnisse in der beschriebenen Szene aus The Photographer, die ein Fotografieren in bestimmten Situationen nicht zulassen. Waltz with Bashir legt hierbei das Augenmerk stärker auf die Visualisierung mentaler Phänomene. Diese Darstellung subjektiv erlebter Eindrücke der Charaktere ist in The Photographer deutlich weniger ausgeprägt. Hier haben die Comic-Panels eher eine erklärende Funktion, und die Abstraktheit stellt die Wissensdifferenz zwischen Guibert als Zeichner und Lefèvres als Berichtendem heraus. Die Fotografien fungieren in beiden Werken als ›Beweis‹ und Faktualitätsmarker, auch dann, wenn sie, wie im Fall von The Photographer, als Ergebnis eines Entscheidungsund Produktionsprozesses inszeniert werden. Waltz with Bashir hingegen präsentiert Fotografie gezielt als authentisches Medium, indem die Bilder eine ›Illusion von Natürlichkeit‹ erzeugen. Auf diese Weise stellen die Comic-Erzählungen durch die Integration von Fotografien heraus, dass das beschriebene Leid und das Grauen des Krieges ›echt‹ sind. Zum anderen nutzen beide Werke Fotografien mit einer starken affektiven Wirkung. Hierbei werden sie zwar von den Comics narrativ gerahmt und mit Erklärungen versehen, gleichzeitig sind Fotografien, wie besonders in Waltz with Bashir deutlich wird, eine Darstellungsform, die in ihrer Unmittelbarkeit starke Reaktion jenseits einer rationalen Ausdeutung hervorruft. Hier wird die Rezipient_in direkt mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert, anstatt es nur als abstrakt beschrieben oder angedeutet zu erfahren. Somit unterscheidet sich die Wirkweise von Fotografie und Zeichnung bei der Darstellung von Krieg und Leid erheblich: Während das fotografische Bild den Betrachter augenblicklich und plötzlich ›durchbohrt‹, muss das Grauen bei Zeichnungen erst durch einen kognitiven Prozess der Leser_in inferiert werden. Durch ihre Kombination nutzen die Autoren die Eigenheiten beider Medien als Annährung an das Problem, die Schrecken des Krieges zu repräsentieren.

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Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: Guibert, Lefèvre u. Lemercier, 147.
  • Abb. 2: Guibert, Lefèvre u. Lemercier, 168.
  • Abb. 3: Guibert, Lefèvre u. Lemercier, 133.
  • Abb. 4: Guibert, Lefèvre u. Lemercier, 132.
  • Abb. 5: Guibert, Lefèvre u. Lemercier, 119.
  • Abb. 6: Guibert, Lefèvre u. Lemercier, 134.
  • Abb. 7: Folman u. Polonsky, 116–117.
  • Abb. 8: Folman u. Polonsky, 111.