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Comic meets Literatur

Comic und Literatur: Konstellationen rezensiert von Gerrit Lembke

Monika Schmitz-Emans hat ein Buch über Comic und Literatur vorgelegt: Typus ›Sammelband‹. Diese leiden häufig an denselben Krankheiten und erfordern stereotype Besprechungen mit geradezu kanonischen Kritikpunkten: Es handele sich um eine fragwürdige Auswahl an Aufsätzen von sehr unterschiedlicher Qualität, und vorangestellt sei ein Vorwort, das sich bemüht, die Texte mit einem roten Faden zu würgen. Aber wäre dieses Buch damit gerecht beschrieben? Nein.

Die Herausgeberin, Monika Schmitz-Emans, unterscheidet in ihrem Vorwort drei Konstellationen, um den Gegenstand zu strukturieren. Sie führt zunächst aus, was sie als ›Transferprozesse‹ verstanden wissen möchte: Diese lägen bei Comics vor, die »literarische Texte, Plots und Figuren« (2) adaptieren und so den Medienwechsel vom Text in die Bildgeschichte vollzögen. Die Classics Illustrated sind ein oft gewähltes Beispiel hierfür, aber ohne große Anstrengung ließe sich eine sehr lange Liste erstellen. Solche Adaptionen gebe es zwar auch in der umgekehrten Richtung, also vom Comic zur Literatur wie etwa bei Helmut Heißenbüttel, aber doch weitaus seltener. Als ›Kombinationen‹ versteht die Herausgeberin, was sich mit Irina Rajewsky als ›Medienkombination‹ bezeichnen ließe: Comics, die Literatur etwa in Form längerer Textpassagen integrieren, oder Literatur, in der neben der Erzählung in Worten auch Comic-Panels enthalten sind, wie dies bei Umberto Ecos Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana (2004) der Fall sei. Die dritte Konstellation von Comic und Literatur lautet, so schließlich Schmitz-Emans’ These, der Comic sei selbst Literatur (3). Diese Nähe sieht sie vor allem in (auto-)biografischen und zeitgeschichtlichen Comics, aber auch in der parallelen Entwicklung von Roman und Comic, die beide anfänglich mit dem Vorwurf der Trivialisierung kämpfen mussten. Aber: »Welche ›operativen Vorteile‹ erbringt die Gegenüberstellung von ›Literatur‹ und ›Comic‹?« (7) Das Vorwort stellt die Frage, überträgt aber die Pflicht ihrer Beantwortung den Autor_innen des Buches, die ihre Thesen auf einem Freiburger Kolloquium 2009 vorgestellt und diskutiert haben.

Die Beiträge gliedern sich in drei Abschnitte: Im ersten Teil analysieren die Autor_innen in drei Aufsätzen verschiedene Comic-Adaptionen. Dietrich Grünewald widmet sich Alberto Breccias Comic-Umsetzung (1975) von Edgar Allan Poes The Tell-Tale Heart. Er demonstriert, wie der argentinische Comic-Autor Breccia analog der literarischen Techniken Poes den Medienwechsel ›intentionsgerecht‹ und damit im Sinne Grünewalds – erfolgreich – vollziehe. Dem Comic-Autor Reed Crandall hingegen legt Grünewald zur Last, Poes Erzählung zu stark verändert zu haben (vgl. 63). Hierin zeigt sich das Adaptionsverständnis Grünewalds, der das »Bewahren des intentional-inhaltlichen Kerns« und »ein vergleichbares künstlerisches Niveau« für wesentlich hält (64). Dem muss man keineswegs zustimmen, und Andreas Platthaus, Autor des folgenden Aufsatzes, widerspricht auch prompt. In seiner Analyse von Stéphane Heuets Proust-Adaption À la recherche du temps perdu betont er, dass die »interpretierende Umsetzung des Ausgangsstoffes« (67) grundsätzlich dem künstlerischen Anspruch des Originals angemessener sei. Platthaus zeigt, dass Heuet sich nicht nur sehr lange mit der Erstellung seiner Umsetzung von Prousts Recherche befasst hat, sondern auch sehr gründlich und bedacht: Seine Veränderungen, etwa durch das Einfügen eines Gemäldes von Caspar David Friedrich, das Proust nicht erwähnt, stellen sich als ästhetisch gelungene Fortschreibungen des Originals dar.

Im zweiten Teil geht es um die Comics, die sich genuin literarischer Gattungen oder Schreibweisen bedienen. So beschäftigt sich Lars Banhold mit Reinhard Kleists Johnny Cash-Biografie Cash – I See a Darkness (2006). Banhold untersucht, inwiefern der Comic den Eindruck von Authentizität erweckt. Interessant wird dies an den Stellen, wo Banhold zeigen kann, dass Kleist solche Wirklichkeitseffekte zur bewussten Täuschung einsetzt, etwa indem er ein Panel zeichnet, das sich als Zeichnung eines Fotos erweist (vgl. 124). Dieses zeigt allerdings tatsächlich nicht den Moment, den der Comic darstellt. Diese Ambivalenz des Comics, Authentizität zu suggerieren, zugleich aber auch zu hinterfragen, arbeitet der Aufsatz an manchen Beispielen gewinnbringend heraus. Im Detail hinterlässt er aber auch offene Fragen: Wieso etwa seien Rückblenden typisch für Film und Drama (vgl. 127)? Mehr als für die Literatur? Oder was ist gemeint, wenn als »Grundvoraussetzung biographischer Comics die Fähigkeit« genannt wird, »etwas so Komplexes wie ein real gelebtes Leben zu einer bündigen, ästhetischen Narration zu formen?« (127)

Im dritten Teil geht es, im Gegensatz zu den strukturellen Genre-Anspielungen der zweiten Sektion, um punktuelle Comic-Verweise auf Literatur, die »Praxis des Zitierens« (9). Hans-Joachim Backe analysiert in Transformation und Aneignung das »Spiegelkabinett von textinternen und intertextuellen Verweisen« (187), das Alan Moore und Dave Gibbons in Watchmen (1987) zelebrieren. Wesentlich ausführlicher hat er dies bereits in einer Monografie Under the Hood getan, die zwischen dem Kolloquium und dem Sammelband erschienen ist (2010). Backe widmet sich zunächst dem Kapitel »Fearful Symmetry«, dessen Titel auf eine Gedichtzeile William Blakes verweist (The Tyger, 1794). Backe zeigt sehr überzeugend und detailliert die vielen Symmetrien dieses Kapitels, allerdings führt das Wissen um das Original von Blake hier nicht sehr viel weiter. Ein weiteres Zitat, das von dem römischen Satiriker Juvenal stammende »Who watches the watchmen?«, nimmt Backe zum Anlass, einzelne Watchmen-Aspekte in antiken Referenztexten zu suchen, und zwar nicht im politischen, sondern entsprechend der Bedeutung im Original im Bereich der persönlichen Beziehungen der Figuren. Diese Fokussierung ist durchaus gelungen, ganz überzeugen kann dieser Versuch, Watchmen mit Juvenal neu zu lesen, allerdings nicht, weil die Verweise (z. B. ähnliche Frauenrollen) doch allzu abstrakt bleiben. Der Autor selbst räumt schließlich ein, jede der vorgeschlagenen Lesarten sei für sich nicht »befriedigend« (201), Watchmen eben ein »komplexes und vielschichtiges Werk« (201). Zuletzt betrachtet Fabian Lampart die Zitatstruktur in italienischen Comics des Mailänder Bonelli-Verlags. Lampart untersucht verschiedene Comic-Serien und findet sehr unterschiedliche Funktionalisierungen von (nicht nur literarischen) Zitaten bis hin zu »Zitatnetzen« (227). Im Gegensatz etwa zu Rolf Lohse, dessen Analyse ohne jegliche Sekundärliteratur auskommt, verortet Lampart seinen Gegenstand sehr gründlich im Forschungskontext und bemüht sich um hilfreiche Systematisierungen. Hierin schließt er auch an das Vorwort der Herausgeberin an, dessen typologische Beobachtungen eine geeignete Grundlage für die Auseinandersetzung mit Adaptionsprozessen bieten.

Wem dies nicht umfassend genug, zu wenig systematisch oder zu heterogen ist, der ist vielleicht besser bedient mit der Monografie, die Schmitz-Emans 2012 zum gleichen Thema publizierte: Comic-Literatur. Adaptionen und Transformationen der Weltliteratur. Der vorliegende Sammelband beantwortet längst nicht alle Fragen zum Thema, und auch die Eingangsfrage, welchen ›operativen Vorteil‹ die Zusammenschau von Comic und Literatur bringe, wird nicht abschließend geklärt, wenn auch die Aufsätze punktuell sehr wohl zeigen, wie fruchtbar es ist, sich Comics in Hinblick auf literarische Vorbilder anzusehen.

 

Comic und Literatur: Konstellationen
Monika Schmitz-Emans (Hg.)
Berlin et al.: De Gruyter, 2012
250 S., 99,95 Euro
ISBN 978-3-11-028285-6