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Mit Lautmalereien die Comicwelt umschreibend

Kaboom! Comic in der Kunst rezensiert von Nina Heindl

Der Katalog Kaboom! Comic in der Kunst ist begleitend zur gleichnamigen Ausstellung erschienen, die vom 15. Juni bis 6. Oktober 2013 in der Weserburg|Museum für moderne Kunst, Bremen zu sehen war. Über dreißig Künstler_innen präsentierend, bleiben Ausstellung und Katalog jedoch altbekannten Mustern in der Ausrichtung des Themas ›Kunst und Comic‹ verhaftet.

Peng, Puff, Bang – bei diesen Onomatopöien stellen sich sofort Vorstellungen einer wilden Western­schießerei oder explodierenden Dynamits ein. Diese aktionsreichen und lauten Bilder sind aus Comic-Geschichten wohlvertraut. Nicht von ungefähr bedienen sich auch die drei Kuratoren Ingo Clauß, Peter Friese und Guido Boulboullé einer Lautmalerei, um das Thema der Ausstellung sowie den Titel des begleitenden Katalogs mit einem Schlagwort zu umreißen: Kaboom! Comic in der Kunst. Der umfangreiche zweisprachige Ausstellungskatalog beinhaltet vier Essays sowie für alle 33 ausgestellten Künstler_innen jeweils eine bis zwei Doppelseiten mit einem Werktext sowie bis zu drei großen Farbabbildungen. Die Publikation schließt mit einem Index ab, einer informativen Übersicht über alle Exponate mit Werkangaben und kleiner Abbildung.

Der Fokus der ausgewählten künstlerischen Positionen seit Mitte der 1950er Jahre liegt auf motivischen Anleihen, etwa Superheld_innen, Sprechblasen und niedlichen Tierfiguren, die – aus dem Comic-Kontext entfernt – subversiv und sozialkritisch ausgedeutet werden. Beim Erschließen der Katalogeinträge stellt sich die Frage danach, wie trennscharf der Begriff ›Comic‹ genutzt bzw. wie dieser überhaupt verstanden wird: ›Cartoon‹ und ›Comic‹ werden in den Beiträgen synonym verwendet, ohne definitorisch darauf einzugehen, und in der Auswahl der Exponate sind unterschiedslos Zeichentrick- und Realverfilmungen, die Super­helden_innen thematisieren, integriert. Dieses ausgreifende Verständnis des Comics lässt die Vermutung aufkommen, dass vielmehr ein Hauptaugenmerk auf populäre Unterhaltungsformate gelegt wird statt auf das Medium ›Comic‹ im Speziellen.

Allein Werke wie die von Siemon Allen und Francesc Ruiz erweitern diesen motivischen Schwerpunkt um Produktions- und Distributionsaspekte des Mediums: In Land of Black Gold IV (2004) kontrastiert Allen in einer ausgreifenden Wandinstallation zwei Ausgaben des Tim-und-Struppi-Abenteuers Im Reiche des schwarzen Goldes. Der einst brisante politische Bezug der 1950er-Ausgabe (ab 1939 wurde der Titel bereits zum Teil in der Zeitungsbeilage Le petit Vingtième und später im Magazin Tintin veröffentlicht) wurde in einer Neuauflage von 1972 komplett getilgt – anstelle des britisch besetzten Palästina und des Konflikts zwischen Zionisten und Arabern ist das Geschehen nun gänzlich in ein fiktives Emirat verlegt. Im Neben- und Übereinander der Panelreihen, unter Auslöschung des Textes in Sprech- und Gedankenblasen, werden die damit einhergehenden erzählerischen Verschiebungen und neuen Deutungshorizonte vor Augen geführt. Francesc Ruiz’ Installation Philadelphia Newsstand (2010) zeigt am Zeitungsstand liegende Publikations­formate, die in engem Zusammenhang zu Comics stehen. Ruiz adaptiert geläufige Wahr­nehmungs­muster unserer massen­medialen Umwelt, bricht diese ironisch und regt damit zur Auseinander­setzung mit medialen und sozial-politischen Repräsentations­formen an.

Die vier Essays des Katalogs, die von drei Blöcken mit Künstler_innen-Seiten gerahmt werden, betten die gezeigten Positionen in die Kontexte von Politik, Groteske und Mythos ein. Der Aufsatz »Where am I? What Sort of Place is This? Comic, Kunst, Politik. Versuch einer Ortsbestimmung« des Herausgebers Ingo Clauß etwa macht die Stoßrichtung der Ausstellung deutlich: Hier stehen die Rolle des Comics, »dessen Bildwelten, Themen und Mythen« (18), im Fokus, die im Übertrag auf die bildende Kunst gesellschafts­politische und subversive Potenziale entfalten. Speziell sieht er dieses Potenzial in der Adaption von comicimmanenten Motiven und Strukturen in Gemälden, Skulpturen, Videos und anderen Gattungen, da die »attraktiven Bildwelten des Comics […] einen leichten, enthierarchisierten Einstieg in die Kunst« (20) ermöglichen würden und sich damit niederschwellig die teils sperrige moderne und zeitgenössische Kunst erschließen lasse.

Guido Boulboullé steuert den Aufsatz »Absurde Bilderfindungen. Comic und groteske Kunst heute« bei. Nach einem kurzen historischen Abriss zur Groteske geht der Autor auf deren moderne und gegenwärtige Ausprägungen ein. Als künstlerisches Gestaltungsverfahren kann die Groteske nach Boulboullé als »absichtsvolle Zerstörung eines Sinnversprechens« (110) verstanden werden, aus der Absurdes resultiert. In Hinblick auf den Comic sieht der Autor das Groteske vor allem dann verwirklicht, wenn die bildende Kunst »neue absurde Bilder« (110) aus der Auflösung des Komischen, das dem Medium gewöhnlicherweise zugeschrieben wird, gewinnt. Dies geschieht laut Boulboullé etwa dann, wenn in Arturo Herreras Wand­malerei When Alone Again (2001) die Zwerge aus dem Animationsfilm schneewittchen und die sieben zwerge (1937) in ein abstrakt-organisches Gewebe aus Linien- und Farbverläufen transformiert werden.

Der Direktor des Bremer Museums Weserburg, Peter Friese, schließt mit Ausführungen unter dem Titel »Shazam. Über Comic, Kunst und Mythos« an. Titelgebend ist der Ausspruch, den der Junge Billy Batson tätigen muss, um sich in den Superhelden Captain Marvel zu verwandeln. Und speziell der Mythos um Superheld_innen – mit Bezug auf Umberto Eco, Roland Barthes sowie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno – zieht sich als roter Faden durch diesen Beitrag. Frieses abschließende Antwort darauf, warum sich bildende Künstler_innen den comicimmanenten Bildwelten zuwenden, fällt dann ernüchternd einseitig aus: Sie seien »an der mythenbildenden Kraft, Popularität und Massentauglichkeit der plakativen Bild­geschichten interessiert« (180). Doch die gezeigten Werke selbst belehren uns eines Besseren: Öyvind Fahlström macht sich in der Offsetlithografie Column no. 1 (Wonder Bread) von 1972 Gestaltungsprinzipien des Comics zunutze, um eine vielschichtige Bilderzählung um globalpolitische Verhältnisse zu visualisieren und kritisch zu reflektieren. Fahlström rückt demnach nicht die Popularität und Massenkompatibilität des Mediums in den Mittelpunkt, sondern bedient sich für die Darstellung eines höchst komplexen Themas der comicspezifischen Darstellungs- und Rezeptionsweise – ob hier überhaupt noch eine kategorische Unterscheidung zwischen ›Comic‹ und ›Kunstwerk‹ getroffen werden muss, sei außerdem dahingestellt.

Der letzte Aufsatz von Bettina Brach, »Denkblasen, neu aufgelegt. Comics in Künstlerpublikationen «, beleuchtet einen dezidierten Berührungspunkt von Comic und Künstler_innenbuch: »das vervielfältigte, veröffentlichte, in Auflage erscheinende Kunstwerk« (212), das motivischen oder strukturellen Bezug zum Comic aufweist. Der Aufsatz ist der Ausstellung Comic im Künstlerbuch gewidmet, die, kuratiert von der Autorin, zeitgleich in den Räumen des an die Weserburg angegliederten Studienzentrums gezeigt wurde und die Hauptausstellung Kaboom! ergänzte. Insgesamt waren hier rund 100 Künstler_innen-Publikationen zu sehen, die leider nicht im Index des Katalogs zu finden sind. Doch dankenswerterweise stellt Brach im abschließenden Aufsatz des Bandes einige der gezeigten Exponate (unter anderem Werke von Dieter Roth, Ferdinand Kriwet, Lawrence Weiner und Matt Mullican) vor. Diese textliche wie künstlerische Ergänzung ist besonders gelungen, da sich hier plötzlich die Kluft zwischen Comic und Kunst zu schließen beginnt – die im Beitrag vorgestellten Arbeiten sind auf formaler/struktureller Ebene teils nicht von Comic-Produktionen zu unterscheiden. Dies ist beispielsweise bei Roberto Altmanns abstrakter Bilderzählung Fragments d’Ø (1971) der Fall, der Robert Crumbs ironische Abstract Expressionist Ultra Super Modernist Comics (1968) gegenübergestellt werden können.

Mit der kuratorischen Auswahl der Exponate, bei der der Vorsatz, Comic in der Kunst zu zeigen, kategorisch durchexerziert wurde, reiht sich die Ausstellung Kaboom! in eine Tradition ein, die seit den Anfängen der Pop Art besteht und 2004 durch die Schau Funny Cuts. Cartoons und Comics in der zeitgenössischen Kunst in der Stuttgarter Staatsgalerie (2004–2005) aktualisiert wurde. Eine ähnliche Zielsetzung mit gewendeten Vorzeichen verfolgte auch die Ausstellung »Mit Pikasso macht man Kasso«. Kunst und Kunstwelt im Comic, die 1990 im Museum für Gestaltung Zürich gezeigt wurde. Beide Ausstellungen haben einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Themenfeld ›Comics und Kunst‹ geliefert, doch stellt sich die Frage, ob nach nunmehr 23 Jahren seit der Zürcher und neun Jahren seit der Stuttgarter Schau sowie mehreren Comic-Ausstellungen in diversen weiteren Kunstmuseen – hier wären beispielsweise die Retro­spektiven zu Robert Crumb in Paris 2012 und zu Art Spiegelman in Köln 2013 (sowie weiteren Stationen) zu erwähnen – in Bremen nicht eine Neuakzentuierung mit Einbezug von Werken des sonst nur adaptierten Mediums selbst angebracht gewesen wäre. Das ausgewählte Spektrum der Adaptionen und des in den Essays Thematisierten reicht so nur für Superheld_innen und funny strips, plakative Action und Slapstick-Humor – das Mainstream­programm des Comics. Doch gerade bei Künstlern wie Fahlström, Allen und Ruiz mit ihren politischen Bildgeschichten und Installationen würde sich eine Kontrastierung mit zeitgenössischen sozialkritischen und politischen Comic-Künstler_innen wie Art Spiegelman, Sue Coe oder Joe Sacco mehr als anbieten.

Egal wie die Beantwortung der Frage nach einer Neuakzentuierung der Beziehung von Kunst und Comic auch ausfällt – die ergänzende Ausstellung von Künstler_innenbüchern im Studienzentrum für Künstler­publikationen und der dazugehörige Beitrag von Bettina Brach sind neben den kurzen Erwähnungen, die etwa bei Ingo Clauß (20, 40) und Peter Friese (179) zur Relevanz des Mediums im Kunstbereich zu finden sind, ein Schritt in eine die Kluft überbrückende Richtung. Was vorerst bleibt, ist ein umfangreicher Ausstellungskatalog mit einem imposanten Abbildungs­fundus und informativen Aufsätzen sowie Künst­ler_innen-Texten zur Adaption von comic­immanenten Motiven und Strukturen, die vor allem die ›lauten‹ Bezüge zwischen Comic und Kunst abdecken.

 

Kaboom! Comic in der Kunst
Ingo Clauß (Hg.)
Dt./Engl., übers. v. George Frederick Takis
Kehrer: Heidelberg u. Berlin, 2013
239 S., 29,90 Euro
ISBN 978-3-86828-413-3