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Weisse Wölfe im braunen Sumpf

Weisse Wölfe: Eine grafische Reportage über rechten Terror rezensiert von Andreas Heimann

Über Jahre hinweg vermag es die Zwickauer Zelle, ihren rechten Terror zu verschleiern – mit ihrem Comic Weisse Wölfe schaffen es Texter David Schraven und Zeichner Jan Feindt, einen Teil dieser rechten Gewalt in schwarz-weißen Bildern auf Papier zu bannen.

Mit dem Begriff des Unsichtbar-Werdens etablieren Deleuze und Guattari 1980 in Tausend Plateaus ihre Idee einer im Untergrund agierenden Gruppe. Denn ist die viel beschworene Parallel­gesellschaft der Wortbedeutung nach zwar eine Gesellschaft die nur noch in verhältnismäßiger Anordnung zur normativen Gesellschaft steht, so ist sie dennoch ein sichtbarer Teil, hat ein Verhältnis zum Ganzen. Eine Parallel­gesellschaft ist somit als ein zwar am Rand situierter, jedoch noch immer konstitutiver Teil der Gesellschaft zu verstehen. Dem stellen Deleuze und Guattari die Möglichkeit einer a-parallelen Evolution von Gruppen gegenüber. Eine Einheit kann demnach zwar noch als Zelle des Ganzen, also Teil des Gesamtkörpers verstanden werden, durchläuft aber eine Entwicklung, in der sie sich von der Gesellschaft ablöst und partiell sogar verschwinden vermag. Wurden diese Dynamiken einer Gruppe zunächst als subversive Strategien gedacht, um eine Gesellschaft mit positiven Impulsen zu bereichern, pervertiert sich die Idee von Deleuze und Guattari im Falle des rechten Terrors und lässt sich doch mit deren Theorem erklären. Denn die Zwickauer Zelle löste ihren Schrecken gerade dadurch aus, dass sie es schaffte, über Jahre hinweg den Ursprung ihrer terroristischen Aktivitäten in die Unsichtbarkeit zu transformieren und unbemerkt von der deutschen Justiz zu agieren.

Es ist dem Comic Weisse Wölfe von Texter David Schraven und Zeichner Jan Feindt zu verdanken, dass nunmehr ein Teil dieser Unsichtbarkeit in schwarz-weißen Bildern auf Papier gebannt wird. Mit den heutigen Erkenntnissen über die Zwickauer Zelle wird aus dem politischen Akt des Unsichtbar-Werdens somit eine Sichtbar-Machung im Comic. Dabei trägt das 200 Seiten starke Werk seinen Anspruch auf eine grafische Reportage bereits im Untertitel.

Ästhetisch geschieht diese künstlerische Sichtbar-Machung der untergründigen Aktionen des rechten Terrors durch den Einsatz experimenteller Mittel, etwa monochromer Benday Dots und unterschiedlicher Rasterfolien, die in ihrer Wucht und Dynamik an Roy Lichtensteins Brushstrokes erinnern. Wie aus dem Untergrund, dem zuvor Unsichtbaren, von dem der Comic berichtet, tauchen die Bilder auf. Aus schwarzen und weißen Flächen scheinen sie sich langsam an die Oberfläche zu schälen, werden förmlich der Unsichtbarkeit entrissen und behalten dabei doch immer im wortwörtlichen Sinne einen Charakter des Unfassbaren, wenn sich die Bildebenen überlagern und sich geschickt mit dokumentarischem Fotomaterial vermischen. Das Untergründige bleibt somit selbst im Moment seiner Visualisierung erhalten und präsent.

Genauso kunstvoll wie die grafischen Schichten werden auch die drei Ebenen miteinander verwoben, die der Erzähltheorie nach Genette entsprechen. Auf der extradiegetischen Ebene, also als Rahmenhandlung, wird die Suche des Autors von Weisse Wölfe, David Schraven nach Interviewpartnern aus der rechts­radikalen Szene beschrieben. Die intradiegetische Ebene, also die eigentliche Erzählung, beschreibt die Geschichte des gewaltbereiten Rechtsradikalen Albert S. Dies ist die schon fast ›klassische‹ Geschichte eines Versagers, der immer wieder aneckt, sich kurz im Punkmilieu versucht und dann zusehends in die rechte Szene abdriftet. Es folgen Straßenkämpfe, Konzerte rechter Bands, Alkohol, Gräberschändung und immer wieder Gewalt. Gewalt innerhalb der Gruppe, Gewalt gegen andere Gruppen, Gewalt gegen sich selbst. Weisse Wölfe wäre Gefahr gelaufen ins Banale abzugleiten, gäbe es nicht eben auch jene dritte Ebene des metadiegetischen Erzählens. Diese Metaebene erlaubt der Leser_in von Weisse Wölfe neue Einblicke in eine a-parallele Gesellschaft.

Dabei kommt diesen Seiten zudem ein ordnendes Moment zu, denn es sind eben jene Doppelseiten, welche die einzelnen Kapitel untereinander gliedern. Auf der linken Seite ist immer ein faschistisches Hoheits­zeichen wie der Totenkopf der Waffen-SS, das Keltenkreuz oder die Doppelsigrune zu sehen. Hierdurch offenbart sich für die Leser_in ein Reich der verbotenen und fremden Zeichen, die in Deutschland auf dem Index stehen und deren Verwendung strafrechtlich verfolgt wird. Es ist wohl allein dem dokumentarischen Anspruch des Comics zu verdanken, dass die in Deutschland immer noch verbotenen Symbole nicht einer Indizierung oder zumindest einer Schwärzung zum Opfer fielen. Und im Vergleich etwa zu US-amerika­nischen Superheldencomics dienen diese Zeichen in Weisse Wölfe auch nicht einem Schockeffekt oder gar als popkulturelles Inventar, sondern entziehen in ihrer Präsenz der rechten Szene die Deutungshoheit. Auch hier werden wieder Ikonographien des rechten Untergrunds der Unsichtbar-Werdung entrissen und ausgestellt. Selbiges geschieht auf den rechten Buchseiten, die mit den rassistischen Symbolen eine Einheit bilden und auf denen sich auf befleckten Blättern Einträge aus einem Tagebuch finden. Es handelt sich hierbei um die Turner-Tagebücher, einem Roman des amerikanischen Autors William L. Pierce, der unter dem Pseudonym Andrew Macdonald publizierte und dessen Text zur Blaupause des weltweiten rechten Terrors wurde. Auch auf den Rechnern der Erfurter Terrorzelle fand sich die Hetzschrift, die zum Kampf gegen ein (vermeintlich) jüdisch kontrolliertes System aufruft. Der Attentäter der ›Oklahoma City Bombings‹, Timothy McVeigh, bezog sich, ebenso wie der norwegische Massenmörder Anders Breivik auf diesen Text, der einen in der Zukunft stattfindenden Rassenkrieg beschreibt. Die fiktiven Tagebücher predigen hierfür einen führerlosen Terrorkampf von höchstens vier Mitgliedern, die Sprache der Zellen ist der Terror. Andere Zellen verstehen diese Art der Kommunikation und antworten ihrerseits mit Anschlägen.

Unkommentiert wird die Leser_in mit den rechten Symbolen und ihrer Symbiose zu der metadiegetischen Erzählebene der Turner-Tagebücher konfrontiert. In ihrem thematischen Bezug zu den beiden anderen Erzählebenen vertiefen diese Doppelseiten den Anspruch eines dokumentarischen Effekts. Dem Einzel­schicksal der intradiegetischen Ebene wird hier die Konfrontation massenwirksamer rechter Ideologien entgegengestellt. Dabei steht der Pathos der Tagebuchseiten in schriller Diskrepanz zu dem von Elend, Gewalt und Hass geprägten Leben von Albert S. und entlarvt den vermeintlichen Herrenmenschen in all seiner Armseligkeit.

In der Kombination untergründiger Strukturen, Texte und verbotener Zeichen ist Weisse Wölfe gerade auf diesen eben beschriebenen minimalistischen Doppelseiten am stärksten. Sie offenbaren der Leser_in eine unbekannte Welt aus brutalen Codes, eiskalter Gewalt und verqueren Vorstellungen von Ruhm und Ehre. Es ist die Beschreibung einer Gesellschaft, die im Deleuzeschen Sinne als a-parallel zu verstehen ist, die es also umso dringlicher zu verstehen gilt. Der Non-profit Organisation CORRECT!V sowie der Sonder­förderung durch die Rudolf Augstein Stiftung ist es zu verdanken, dass durch Weisse Wölfe hierfür ein wichtiger Schritt unternommen wurde, denn das Unsichtbar-Werden hat längst begonnen und geschieht mitten unter uns. Es ist eine vornehmliche Aufgabe der Kunst, diesen Strukturen eine Sichtbar-Machung entgegenzustellen.

 

Weisse Wölfe
Eine grafische Reportage über rechten Terror
David Schraven (W), Jan Feindt (P)
Essen: CORRECT!V, 2015
228 S., 15,00 Euro
ISBN 978-3-98169-1-702