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»Herrlich spinnerte Szenarien«

Der Comic – Geschichte, Stile, Künstler rezensiert von Barbara Eder

Mit Klaus Schikowskis Der Comic – Geschichte, Stile, Künstler stellt eine weitere, überblicksartig angelegte Comic-Historie die Behauptung in Frage, dass im deutschsprachigen Raum keine Comicwissenschaft existiere. Ist das noch nötig?

Über die Schwierigkeit des Versuchs, eine Kulturgeschichte des Comics zu schreiben, ist der Autor, ehemals Redakteur der Fachzeitschrift Comixene sowie stellvertretender Programmleiter von Carlsen, sich von Beginn an bewusst. Im Vorwort bezeichnet Schikowski sein Unterfangen nicht einfach nur als komplex, sondern als »nahezu unmöglich« (10):

Es gibt kaum eine andere Kunstform, die sich gleichermaßen dem Zugriff entzieht und sich so wenig festlegen lässt. Es gibt keine schrittweise, sich aufbauende Entwicklung, im Gegenteil. Fast abgeschottet von den anderen Künsten hat sich die Form des Comics quasi selbst entwickelt. (ebd.)

Auch aufgrund dieser relativen Autonomie legt Schikowski eine Geschichte des Comics abseits von disziplinären Fixierungen und terminologischen Engpässen frei; am Ende des Buches findet sich ein Glossar mit Erläuterungen zu den sparsam und zugleich gezielt verwendeten Fachbegriffen.

Obgleich Entwicklungen im Bereich der visuellen sequenziellen Kunst nur selten diachron verliefen, gelingt es dem Autor, die wesentlichsten Aspekte der Comic-Geschichte des 20. Jh. in acht und jene des 21. Jh. in je fünf Kapiteln in eine chronologische Abfolge zu bringen. Schikowski ordnet das Material nach nationalen und generischen Aspekten: Während im ersten Unterkapitel die Emanzipation des amerikanischen Comics vom sonntäglichen Supplement hin zum eigenständigen Genre – so etwa dem Funny, dem Abenteuer-Comic und dem Comic Book – ausgeführt wird, wird in drei weiteren Kapiteln auf die Entstehung des franko­belgischen, deutschen und japanischen Comics gesondert eingegangen. Gepaart sind diese Ausführungen mit Unterkapiteln zur länderübergreifenden Entstehung bestimmter Genres – etwa Superhelden-Comics, Underground Comix, Graphic Novels und Alternative Comics.

Dem zweiten Teil des Buches geht die Behauptung voraus, dass die im 21. Jh. entstandenen Werke der grafischen Erzählkunst nicht länger einzelnen Comic-Traditionen zugeordnet werden können. Schikowski spricht von globalen Comics, die sowohl ästhetisch als auch inhaltlich keine nationalen Barrieren mehr kennen. In den Kapiteln »Ein Land namens Erinnerung« und »Erzählen ohne Grenzen« sucht der Autor in Rekurs auf die Graphic Memoirs von Marjane Satrapi und die transnationalen Reportagen von Joe Sacco nach Erklärungen für die gegenwärtige Tendenz zum entgrenzten Erzählen, im Kapitel »Digitale Comics und Webcomics« bringt er die mit der Entstehung von Comic-Blogs und Internet-Skizzenbüchern einhergehende Verschiebung der Comic-Produktion in den virtuellen Raum mit gesellschaftlichen Globalisierungstendenzen in Verbindung. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die in einem eigenen Kapitel behan­delten, transnationalen Kooperationen zwischen asiatischen und europäischen Comic-Künstler_innen, die vielfach zu intermedialen Synergien geführt haben – so etwa im Fall von Barus Hybrid-Manga Autoroute de Soleil.

Bemerkenswert an Schikowskis Zugang ist die Art und Weise, wie dieser Theorie und Empirie miteinander in Einklang bringt. Der Autor verfügt nicht einfach nur über das Handwerkszeug des Comic-Historikers, sondern auch über das Vermögen, Bildgeschichten zu kontextualisieren und zu interpretieren. Seinen Beschreibungen – das Buch enthält 55, im Verhältnis zum beschriebenen Material eher spärlich gesäte Abbildungen in Graustufen – geht das Wissen um das historisch wechselhafte Verhältnis von Schrift und Bild im Comic voraus. Schikowski irrt jedoch, wenn er eine Verschmelzung beider Medien um 1910 konstatiert: Zwar sind diese mit Lessings Deutung der Laokoon-Gruppe im Bereich der akademischen Stilgeschichte oft getrennt voneinander behandelt worden; in der populären Kunst des 19. Jh. – so etwa in der Art Nouveau, der Plakatgestaltung und der Kinderbuchillustration – haben Schrift und Bild immer schon zusammen­gehört. Dementsprechend romantisiert auch Schikowski, wenn er das im Comic immer schon Vereinte erst zu Beginn des 20. Jh. zusammenfallen sehen will.

Schikowskis tiefes Verständnis für sein Material gleicht die dürftigen Verweise auf Sekundär­literatur ebenso wenig aus wie das Fehlen einer Methodologie. Für ein Werk wissenschaftlicher Provenienz wäre dies zwingend erforderlich, eine populär­wissenschaftliche Studie hingegen kommt ohne Kanonisierung von einem der zahlreichen Ansätze aus dem Bereich der akademischen Comicforschung aus. Ganz im Sinne einer Fort­führung von Andreas C. Knigges Comics. Vom Massenblatt ins multimediale Abenteuer hat Schikowski eine allgemein verständliche Geschichte des Comics geschrieben, die mit ihrem Material so empathisch verfährt wie ein leidenschaftlicher Sammler. Sie kann nicht nur, sie soll sogar Platz für die Rede von »herrlich spinnerte[n] Szenarien« (49) lassen.

 

Der Comic
Geschichte, Stile, KĂĽnstler
Klaus Schikowski
Stuttgart: Reclam, 2014
293 S., 22,95 Euro
ISBN 978-3-15-010839-0