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Layout und visuelle Komposition von Comics und Graphic Novels
Ein Annotationsschema für empirische Untersuchungen

John A. Bateman und Janina Wildfeuer (Bremen)

Das analytische Interesse an Comics, Graphic Novels und ähnlichen visuellen Medien wächst beständig, und vor allem das Interesse an empirischen Detail-Untersuchungen nimmt zu. Auch die Arbeitsgruppe Multimodale Linguistik an der Universität Bremen widmet sich diesem Fokus und konzentriert sich dabei vor allem auf Fragen nach dem Seitenlayout und der Komposition visueller Narrative. Mit dem Ziel der systematischen, empirischen Analyse einer Vielzahl von Comic-Seiten entwickeln wir in Zusammenarbeit mit Kolleg_innen von der Polytechnic University of Hongkong ein detailliertes Annotationsschema zur korpusanalytischen Aufbereitung aller bedeutungskonstruierenden Aspekte im Comic. Dem wurde bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet und es war zuletzt oft Thema kritischer Diskussionen.

Annotationsschemata stellen im Rahmen linguistischer Untersuchungen von Kommunikation seit längerem ein etabliertes Werkzeug zur Korpusanalyse linear organisierter Artefakte dar. Für räumlich organisierte Medien wie Comics dagegen sieht die Situation zunächst noch deutlich anders aus. Zwar gibt es erste Versuche zum Beispiel im Rahmen der so genannten Comicbook Markup Language (CBML), die verbalen Bestandteile und ihre Verteilung auf Comicseiten näher zu beschreiben, jedoch sind diese und ähnliche Ansätze noch sehr textfokussiert und lassen visuelle Informationen wie Layout und Komposition oft gänzlich außen vor.

Ziel der Bemühungen in Bremen ist es deswegen, eine zunächst qualitative Beschreibungsebene für alle semiotischen Einheiten auf der Comic-Seite zu ermöglichen, die in einem nächsten Schritt dann größere Mengen von Comic-Seiten quantitativ aufbereiten kann. Hier geht es vor allem darum, Kategorien für die unterschiedlichen Tabellen- oder Waffelstrukturlayouts zu finden sowie Überlappungseffekte von Panels oder unterschiedliche Designs des Gutters beschreiben zu können. Diese qualitative Beschreibung soll dann in einem weiteren Schritt auch ermöglichen, Verbindungen zu narrativen und anderen Interpretationen zu leisten und die signifikante Interpretationslücke zwischen materiellen Realisierungen einerseits und kommunikativen und ästhetischen Funktionen andererseits sinnvoll zu füllen.

Ähnlich den Arbeiten der Paderborner und Potsdamer Arbeitsgruppe Hybride Narrativität steht die Erstellung einer XML-basierten Annotationssprache für die Analyse visueller Narrative im Vordergrund des Bremer Projektes. Dafür sind ein Coding-Manual und umfangreicher Leitfaden zur Nutzung des Schemas zurzeit in Erarbeitung. Eine vorläufige englische Version dieser Anleitung kann Interessierten zur Evaluierung und Kommentierung bereitgestellt werden. Für die Zukunft sind vor allem umfangreiche empirische Anwendungen des entstehenden Schemas notwendig, die wir bereits durch den Einsatz in Lehrveranstaltungen und studentischen Projekten erproben.

Hierfür sind wir offen für Kooperationen und laden Interessierte ein, das Annotationsschema gemeinsam mit uns auszuprobieren und zu diskutieren. Denkbar sind zum Beispiel gemeinsame Workshops sowie universitätsübergreifende Lehrveranstaltungen, in denen an unterschiedlichen Standorten eine größere Menge von Comicseiten analysiert und annotiert und in einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung diskutiert wird. Literatur-, kultur- oder allgemein medienwissenschaftlich fokussierte Forschungsbereiche könnten dabei von der detaillierten Beschäftigung mit den unterschiedlichsten Bestandteilen von Comics profitieren und vor allem neue Bereiche der Comicforschung kennen lernen. Auch Kolleg_innen und Studierende aus der Linguistik oder neurokognitiven und psychologischen Forschung könnten die Ergebnisse unserer Analysen für ihre Forschungsfragen nutzen, um ein besseres Verständnis der Strukturierung und Wirkungsweise grafischer Narrative zu erlangen. Eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen kann dann weitere Möglichkeiten für die Formulierung von Hypothesen zwecks empirischer sowie experimenteller Forschung bieten.

 

Projekthomepage
http://www.fb10.uni-bremen.de/bitt

Kontakt
Prof. John A. Bateman (bateman[@]uni-bremen.de)
Dr. Janina Wildfeuer (wildfeuer[@]uni-bremen.de)