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Kunterbunte Postapokalypse:
GUNG HO. Schwarze Schafe

GUNG HO. Schwarze Schafe rezensiert von Dorothee Schneider

In GUNG HO. Band 1/Schwarze Schafe werden zwei rebellische Teenager aus der sicheren Stadt in die Gefahrenzone einer zukünftigen Zivilisation geschickt. In der militärisch organisierten, von Mauern und Zäunen umgebenen Siedlung 16, genannt Fort Apache, werden die Bewohner immer wieder von affenähnlichen Monstern, den sogenannten Reissern, angegriffen. Um sich gegen diese ständige Bedrohung von außerhalb zu verteidigen, herrschen in der Siedlung strenge Regeln, denen sich auch die Neuankömmlinge unterwerfen müssen. Statt in schwarz-weißen, düsteren Zeichnungen erzählen von Kummant und von Eckartsberg die Geschichte von Zack und Archers Ankunft in Fort Apache in glänzenden, vor Farbe strotzenden Bildern. Aber kann eine Erzählung von einer postapokalyptischen, bedrohlichen Zukunft auch in bunten Bildern funktionieren?

Abb. 1: Auf dem Weg nach Fort Apache fährt ein Zug durch eine Landschaft voller rostiger Autos (GUNG HO: 8).

Postapokalyptische Erzählungen sind in der Populär­kultur allgegenwärtig. Düstere Zu­kunftsvisionen vom Untergang der zivilisierten Welt durch Umweltkatastrophen (the day after tomorrow, 2004), Epidemien (contagion, 2011), den Zusammenbruch der Wirtschaft (Edan Lepucki: California) oder Horden von Zombies (world war z, 2013) finden sich in den unterschiedlichsten Medien und Genres. Kulturwissenschaftler sprechen von der »Zombie Renaissance« (Bishop 2009: 17) oder der »Bush-era zombie revival period« (Canavan 2010: 434), die ein gesteigertes Gefühl der Verletzlichkeit, insbesondere in der US-ameri­kanischen Kultur, nach dem 11. September, Hurrikan Katrina und der Rezession von 2008 widerspiegelt. Auch Comics setzen sich mit der Thematik auseinander. Einer der meistgelesenen Comics der Gegenwart, The Walking Dead von Robert Kirkman (W), Tony Moore (P #1–6) und Charlie Adlard (P #7–), spielt in den von Zombies überrannten Vereinigten Staaten.

Benjamin von Eckartsberg und Thomas von Kummant legen mit GUNG HO eine deutschsprachige Comicserie vor, die, angesiedelt »[i]rgendwo in Europa« (GUNG HO: 5) in der »nahen Zukunft« (ibid.), ebenfalls einen postapokalyptischen Schauplatz vorweist. Das Artwork von GUNG HO unterscheidet sich allerdings doch deutlich von einigen anderen Comics, die man momentan in den Kontext der Postapokalypse stellen würde: The Walking Dead (2003–) natürlich, aber auch 28 Days Later (2009–11) oder der etwas ältere V for Vendetta (1988–89). Die zerstörten Zivilisationen dieser Comics sind in düsterem schwarz-weiß gehalten oder zeigen nur gedämpfte Farben; in 28 Days Later etwa sind die Zeichnungen in rot und schwarz gehalten. Dagegen erinnern die satten Knallfarben der detailreichen Zeichnungen aus GUNG HO eher an eine computeranimierte Fantasy-Welt, wie zum Beispiel in James Camerons avatar (2009).

Band 1/Schwarze Schafe ist die Exposition der auf fünf Bände angelegten Serie. Die beiden titelgebenden schwarzen Schafe, die Brüder Zack und Archer Goodwoody, werden aus dem städtischen Waisenhaus in die Siedlung Nr. 16, genannt Fort Apache, überstellt. Diese liegt mitten in der »Gefahrenzone« (GUNG HO: 11) und kämpft mit knappen Ressourcen und gegen die wiederkehrenden Angriffe der Reisser genannten Monster, die in der Wildnis außerhalb der Mauern leben. Es wird schnell deutlich, dass der Begriff Gung Ho, der zu Beginn des Comics als »Slangbegriff für ›hitzköpfig und übermotiviert, ohne Rücksicht auf Verluste‹« (4) definiert wird, auf die beiden Brüder bezogen ist. Besonders Archer, der sich in der Kleiderausgabe umgehend mit einem T-Shirt, das mit der Aufschrift »Sexy Beast« bedruckt ist, ausstattet, kann es kaum abwarten, die Regeln der neuen Siedlung auszutesten und zu brechen.

Die Ästhetik des Comics ist beeindruckend. Die Geschichte beginnt langsam und lässt den Leser_innen Zeit, in den Bildern zu schwelgen. Die Lichteffekte der ersten Panels zeigen den Sonnenaufgang über Fort Apache; besonders die Kampfszenen im weiteren Verlauf gewinnen dadurch eine ganz eigene Lebendigkeit. Die Reisser, die das Fort angreifen, entwickeln auch oder gerade in dem strahlenden Abendrot ihre Bedrohlichkeit.

Abb. 2: Einer der Reisser ist in die Siedlung eingedrungen und macht Jagd auf die Bewohner (GUNG HO: 69).

Die Spinnennetze um Zack und Archers Wohnwagen, die so filigran gezeichnet sind, dass die Leser_in sie auf den ersten Blick fast übersieht, sind nur ein Beispiel unter vielen für den Detailreichtum der messerscharf abgegrenzten Panels. Die bunten Farben spiegeln die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit der Goodwoody-Brüder wider. Der Comic präsentiert Zack und Archer in leuchtend orangen Overalls und in strahlendem Sonnenschein. Andere Bewohner der Siedlung 16 kontrastieren mit der Unbekümmertheit der Teenager; so ist zum Beispiel das Treffen zwischen der medikamentenabhängigen Céline und dem schmierigen Stadtkommandant Bagster in viel dunkleren Tönen gezeichnet als die beiden Brüder. Von Kummarts und von Eckartsbergs Comic erschafft in diesen bunten Bildern eine zunächst scheinbar unbeschwerte postapokalyptische Zukunft, in der aber dennoch eine (lange unsichtbare) Bedrohung vorhanden ist. Der Schauplatz Fort Apache wirkt nicht wie ein Auffanglager für elternlose Jugendliche, sondern vielmehr wie ein großer Abenteuerspielplatz, der die Leser_innen in seinen Bann zieht. Gerade die flapsigen Teenagercharaktere machen eine Identifikation allerdings nicht immer einfach. Archers Coolness und sein machohaftes Verhalten gegenüber den weiblichen Charakteren wirken überzeichnet und brechen den Ernst, der hinter der bunt illustrierten Geschichte liegt. Diese Brechung mag durchaus gewollt sein, macht es aber teilweise schwer, die Geschichte ernst zu nehmen. Im Kontrast zum chauvi­nistischen Flirtverhalten von Archer führt der Kampf seines Bruders Zack mit dem Reisser den Leser_innen die Brutalität und Düsternis dieser postapokalyptischen Zukunft sehr deutlich vor Augen.

Abb. 3: Eine Mauer mit Wachtürmen umschließt Siedlung 16 (GUNG HO: 7).

GUNG HO zeigt, dass eine postapokalyptische Geschichte sich durchaus in bunten Bildern erzählen lässt, ohne dass die dargestellte Welt dabei ihre Bedrohlichkeit einbüßt. Im Gegensatz zu anderen, in schwarz-weiß oder gedeckten Farben gehaltenen Comics erschafft Band1/Schwarze Schafe durch seine farbenfrohe Ästhetik eine lebendige und betörend schöne Zukunft mit detaillierten Landschaften in knallbunten Farben. Ein wenig ernsthaftere Charaktere hätten Band1/Schwarze Schafe vielleicht dennoch gutgetan, da die Erzählung dem Anspruch der Zeichnungen sprachlich und inhaltlich nicht immer gerecht wird. Es bleibt abzuwarten, wie sich Zack und Archer weiter entwickeln; ein spannender Anfang der Geschichte ist jedenfalls gemacht. Band 2/Ohne Rücksicht auf Verluste ist 2015 erschienen.

Abb. 4: Archer Goodwoody ist in bunten Farben gezeichnet (GUNG HO: 8).

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Bibliografie

  • avatar (Avatar – Aufbruch nach Pandorra; 20th Century Fox; USA 2009; R: James Cameron)
  • Bishop, Kyle. »Dead Man Still Walking: Explaining the Zombie Renaissance«. In: Journal of Popular Film and Television, 1 (2009), S. 16–25.
  • Canavan, Gerry. »›We Are the Walking Dead‹: Race, Time, and Survival in Zombie Narrative«. In: Extrapolation: a science fiction newsletter, no. 51, 3 (2010), S. 431–454.
  • contagion (Warner Bros.; USA 2011; R: Steven Soderbergh)
  • Kirkman, Robert (W), Tony Moore (P: #1–#6), Charlie Adlard (P: #7–present). 2003–present. The Walking Dead. Berkeley: Image comics.
  • Lepucki, Edan. California. New York: Hachette, 2014.
  • Moore, Alan (W), David Lloyd (A,C), Tony Weare (A), Steve Craddock (L), Steve Whittaker (C), Siobhan Dodds (C). 1988–1989. V for Vendetta. New York: Vertigo [DC Comics].
  • Nelson, Michael Alan (W), Declan Shelvey (P), Malek Oleksicki (P), Leonardo Manco (P), Alejandro Aragon (P), Ron Salas (P), Pablo Peppino (P), Ed Dukeshire (L), Nick Filardi (C). 2009–2011. 28 Days Later. Los Angeles: BOOM! Studios.
  • the day after tomorrow (20th Century Fox/Lionsgate; USA 2004; R: Roland Emmerich)
  • world war z (Paramount Pictures; USA 2013; R: Marc Forster)

 

GUNG HO
Band 1. Schwarze Schafe
Benjamin von Eckartsberg (W), Thomas von Kummant (P)
Ludwigsburg: Amigo Grafik Gbr, 2013
84 S., 22,00 Euro
ISBN 978-3-86425-385-0