PDF

Ein neuer Superhelden-Blockbuster

Marvels Infinity rezensiert von Florian Schulz, Lukas Städing und Simon Wecker

Infinity heißt das neue Crossover-Event des amerikanischen Marvel-Verlags. Der cineastische Erfolg der Marvel-Blockbuster, wie spiderman, avengers oder x-men, soll mit Infinity endlich auch im Ursprungsmedium der Superhelden fortgesetzt werden. Ob der Wechsel von der Leinwand aufs Papier für Comic-Neueinsteiger funktioniert oder ob nur Marvel-Fans Spaß an diesem vom Herausgeber hochgepriesenem Werk finden, soll die folgende Rezension in Grundzügen erörtern.

Die älteste außerirdische Macht, die ›Builder‹, greifen die Galaxis an. Daraufhin schließen sich alle bedrohten Zivilisationen zu einem Verteidigungsbündnis zusammen, um diesem gemeinsamen Feind Einhalt zu gebieten. Auch von der Erde ziehen die meisten Superhelden dem Feind entgegen und lassen den Planeten weitgehend schutzlos zurück. Diese Gelegenheit will Superschurke Thanos, der sich auf einem Feldzug durch das Weltall befindet, nutzen, um die Erde zu erobern.

Auf der ersten Seite von Infinity #1 sticht zunächst der verheißungsvolle Schriftzug »Ein Marvel-Comic-Event« auf der sonst leeren Seite ins Auge. Doch bevor man sich in den selbsternannten »Blockbuster« stürzt, sollte man wohl den Klappentext mit den fast sarkastischen Worten »Herzlich Willkommen...« lesen. In diesem kurzen Absatz wird die volle Bedeutung von ›Crossover‹ und ›Event‹ deutlich.

In den Reihen der mächtigsten Helden der Erde befinden sich aktuell nicht nur Stamm-Avengers wie Captain America, Iron Man, Thor, Hulk, Black Widow, Wolverine, Hawkeye, Captain Marvel, Falcon oder Spider-Woman, sondern auch die Mutanten Cannonball und Sunspot, die neue Captain Universe und die neue Smasher, der Meister des Kung-Fu Shang-Chi, Teleporter Manifold sowie die mächtigen Wesen Hyperion, Starbrand und Nightmask.

Die aus dem Kino vermeintlich bekannte Gruppe der Avengers hat also Zuwachs bekommen, und das nicht nur von Figuren aus anderen Kinoreihen wie x-men oder fantastic four. Außerdem wird erklärt, dass die Geschichte im Grunde schon in den monatlichen Heftreihen begonnen hat. So liefern die Avengers #7–9 die Vorgeschichte zum ›Event‹, und auch in Avengers #1 wird bereits mit der Einführung neuer Charaktere und Gruppierungen von Superheld_innen begonnen. Ohne diese gelesen zu haben, stürzt man sich mit einem etwas konfusen Gefühl in das Abenteuer. Für den Fan ist das alles allerdings längst bekannt. Er hat die bisherigen Entwicklungen schließlich bereits über mehrere Hefte verfolgt. So wundert es Marvel-Veteranen auch kaum, dass Captain Americas erweitertes Avengers-Team – das für die Handhabe besonders großer Bedrohungen ins Leben gerufen wurde – mit Thanos seinen ersten würdigen Superschurken vorgesetzt bekommt.

Bekannt wie die Vorgeschichte sind den Marvel-Anhängern auch die ersten Panels. Die ersten zwei Seiten sind bereits in der New Avengers-Reihe veröffentlicht worden (Achtung Neueinsteiger_innen: nicht zu verwechseln mit der Avengers-Serie!). Dass es sich um eine Gruppe Superhelden handelt, erkennt der Neuling an Iron Man und Mister Fantastic. Abgesehen vom Personal findet sich dort aber nur wenig Heldenhaftes: Die Gruppe zerstört einen ganzen Planeten. Ähnlich unerwartet geht es für die Einsteiger_innen weiter, da im ersten Band der Infinity-Reihe die ›Bösewichte‹ im Vordergrund stehen.

Captain America führt die Avengers in den Kampf gegen bösartige Aliens.

Deren Darstellungen verbreiten eine düstere Atmosphäre, die den gesamten Comic durchläuft und die aufziehende Gefahr für die Erde wiedergibt. Das Farbspektrum beschränkt sich größtenteils auf dunkle Farben, die in den Szenen der ›Schurk_innen‹ teilweise in reine Schwarz-Grau-Arrangements übergehen. Vor allem Thanos und sein Gefolge vermitteln das ›Böse‹. Die Zeichnungen dieser sind detailliert und zeigen ihre Gesinnung in jedem Strich. Während die Superschurk_innen grimmig dreinblicken oder ein zynisches Lächeln aufsetzen, wirken die Superheld_innen in ihrer heroischen Entschlossenheit geradezu emotionslos. Dies unterstützt den Eindruck, dass zumindest im ersten Teil den Angreifer_innen die größere Aufmerksamkeit zukommen soll.

Weniger Irritation für Einsteiger_innen bringt die Anordnung der Panels mit sich. Diese sind meist über die ganze Breite der Seite untereinander angeordnet und lassen nur selten Zweifel an der Reihenfolge. Auch die Perspektiven mit vielen Nahaufnahmen und Halbtotalen sind wenig anspruchsvoll. Die meisten Panels sind vollständig ausgestaltet. Abstraktion und Aussparungen haben im selbsternannten ›Blockbuster‹ wenig Platz, nur in einigen Panels sind die Hintergründe einfarbig. Sowohl die Protagonist_innen als auch ihre Umwelt sind aufwändig umgesetzt und wirken in ihrem Detailreichtum und dem komplexen Farb- und Schattenspiel zeitweise fotorealistisch. Regelmäßige Comicleser_innen werden die Zeichnungen vielleicht weniger beeindrucken als den Neuling, doch wird der Anspruch an Superheldencomics erfüllt.

Die Kraft der Bilder wird auch nicht durch raumgreifende Sprechblasen gestört. Mit den ›Bösen‹ steht wohl auch die Atmosphäre, die vor allem durch die Bilder aufgebaut wird, im Vordergrund. Die Satzkonstruktionen sind nicht besonders komplex. Allerdings stellen sich, wie der Einleitungstext bereits vermuten ließ, dem Neuling in den kurzen Sprechpassagen eine Fülle von Charakterbezeichnungen, Organisationsabkürzungen und Ortsangaben in den Weg. Der Großteil der benutzten Marvel-spezifischen Begriffe bleibt ungeklärt oder wird im Vor- und Nachwort nur angerissen. Auch wird nicht jede Figur vorgestellt, so dass nicht immer erschlossen werden kann, von wem die Rede ist. Kenner_innen verstehen hier natürlich mehr und haben keine Probleme, zu folgen, auch typischer Sprachduktus der einzelnen Figuren lässt sich unterscheiden, wie etwa Captain America mit seinem sachlichen Militärjargon: »Start in einer Stunde«. Während die Sprechblasen auch Einsteiger_innen durch den Dorn eine eindeutige Zuordnung ermöglichen, lassen sich Sprechboxen nicht so leicht zu den Sprecher_innen in Beziehung setzen. Hier hilft aber ein Farbsystem, mit dem die Boxen unterlegt sind, Fans ist dies vertraut.

Und diese Anhänger_innen des Marvel-Universums und vor allem der Avengers-Comics unter der Federführung Hickmans werden sich dieses komplexe Event wohl kaum entgehen lassen, zumal Infinity den monatlichen Releasekalender dominiert. In fast jeder parallel erscheinenden Serie finden zeitgleich Tie-Ins statt, die sich inhaltlich auf Infinity beziehen und die epische Geschichte noch erweitern. So dauert es aus vielerlei Gründen ein wenig, bis Marvel-Neulinge in den ›Blockbuster‹ im Comicformat eingestiegen sind. Überliest man aber alle irritierenden Begriffe und Namen und konzentriert sich zunächst auf den Kern der Story, lässt sich viel schneller ein Zugang zum Marvel-Event finden, und spätestens nach dem zweiten Lesen haben auch Neueinsteiger_innen das Wichtigste verstanden. Ob man sich nun alle Infinity betreffenden Marvel-Hefte kauft, hängt davon ab, wie sehr man sich von den Bösen begeistern lässt. Wer bei den Kinofilmen bleibt und die Comics liegen lässt, sollte zumindest beachten, dass Thanos in einer versteckten Szene im Abspann des avengers-Films zu sehen ist und wohl bald auch hier seine Finger im Spiel haben wird.        

 

Infinity #1
Jonathan Hickman (W), Jim Cheung (P)
Stuttgart: Panini Comics, 2014
60 S., 4,99 Euro