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Zwischen den Wirklichkeiten

Don Quijote rezensiert von Khaled Awad und Oliver Lüthje

Flix hat schon einmal einen Klassiker der Literaturgeschichte ›verwurstet‹, als er sich Goethes Faust (2010) vornahm – nun ist Cervantes’ Don Quijote dran. Sichtlich bemüht, der Tragik des Don Quijote in einer ›zeitgemäßen‹ Gestalt Ausdruck zu verleihen, verwebt er den alten Stoff mit modernen Themen: Demenz, Nachhaltigkeit und Familie. Und natürlich: dem Comic.

Der in schwarz-weiß gehaltene Comic ist ursprünglich in der Printversion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen und wurde in 100 Folgen Stück um Stück der F.A.Z.-Leserschaft vorgelegt; jetzt ist der Strip als Comicalbum bei Carlsen neu erschienen.

Filx' Don Quijote kämpft gegen einen Windpark.

Wutbürger, Besserwisser, Mitmischer und Pedant: Don Quijote, mit bürgerlichem Namen Alfonso Quijano, lebt im mecklenburgischen Tobosow und verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, Beschwerdebriefe an die Wirklichkeit zu verfassen. Zusehends verschlechtert sich das Verhältnis zu seiner Umgebung, und er verkennt die Anzeichen dafür, dass er selbst längst ein Problem geworden ist. Anfangs scheint es, als wäre Alfonso lediglich durch die eigene Idealvorstellung getrieben; aber sein Zustand entpuppt sich als pathologisch: Die Diagnose – Demenz – erklärt sein merkwürdiges Verhalten.

Letztendlich ist es nicht seine fest in der Realität verankerte Tochter Antonia, die zu ihm durchdringt, sondern ihr Sohn Robin. Denn was für Alfonso ein Konflikt zwischen Ideal, Fiktion und Wahnvorstellung ist, stellt sich für seinen Enkel Robin als ein Problem zwischen kindlicher Fantasie und erwachsener Wirklichkeit dar. Großvater und Enkel treffen sich in einem fiktiven Raum abseits der Realität, in dem sie zu Ritter und Knappe werden. Sie brechen aus, schlagen ihr Lager unter Großstadtbrücken auf, kämpfen gegen wild gewordene Obdachlose und monströs wirkende Straßenarbeiter. Doch im notwendigen Augenblick gelingt es Robin, die Grenze zwischen Fiktion und Realität zu ziehen. So löst er die Situation mit ungeahntem Scharfsinn.

Cervantes’ Don Quijote wird dafür gepriesen, dass er seine Erscheinungsbedingungen, die Gattung und das Medium selbst, nicht zuletzt sogar die traurige Wirklichkeit in Frage stellt. Ob der Comic also dem Original gerecht wird, steht und fällt mit der Frage, was ein Werk eigentlich zum Kunstwerk macht. Bedenken muss man, dass es sich bei den ursprünglichen Adressat_innen um F.A.Z.-Leser_innen handelt, mutmaßlich nicht das progressivste Publikum des Planeten.

Die Besonderheit von Cervantes’ Original besteht nicht darin, dass es selbstreflexiv ist, sondern in der reflexiven Tiefe, mit der das Werk sich der Grenzen seiner eigenen Gattung bewusst wird. Kunst, so verstanden, muss immer ihre eigene ›Künstlichkeit‹ herausstellen, also die eigene Medialität reflektieren und so neue Ausdrucksformen erarbeiten. In der Adaption von Flix ist das Spiel mit dem eigenen Medium zunächst einmal: ein Motiv. Wie funktioniert das genau? Man kann sich sicherlich die Frage stellen, weshalb Autoren wie Paulo Coelho am Rande erwähnt werden müssen. Unmittelbar gehen diese Bezüge nicht immer aus der Handlung hervor. Auch dann nicht, wenn der Inhalt der Phiole des Zauberers Fierabra in Flix’ Don Quijote die gleiche Wirkung hat, wie der Zaubertrank des Druiden Miraculix bei Asterix und Obelix. Auch wenn der Autor sich darum bemüht, das Motiv der Selbstreferenzialität zu übernehmen, und immer wieder Möglichkeiten medialer Selbstreflexion nutzt, bleiben die Anspielungen auf der Oberfläche.

Alfonso Quijano und sein Enkel und Sidekick Robin entdecken im Keller eine riesige Fledermaus.

So der von Alfonso Quijano verfasste Leserbrief, bei dem der Weltverbesserer gegen den Druck von Co-micstrips wettert. In seinen Augen erzögen Comics zu Gewalt und Rache – Eigenschaften, die Alfonso nicht nur selbst besitzt, sondern die mit fortschreitendem Krankheitsverlauf (Demenz) immer krassere Züge annehmen. Als Bestandteil des im Carlsen Verlag erschienenen Buches ist er ein schmückendes Beiwerk, Ausdruck der Eigenbezüglichkeit. Erst im Kontext seiner Erstpublikation in der F.A.Z. entfaltet er sein kritisches Potenzial. Indem Alfonsos Leserbrief neben die Kommentare echter F.A.Z.-Leser_innen gestellt wurde, entstand eine offene Diskussion, bei der die Leser_innen ihre Meinung gegenüber dem Medium ›Comic‹ frei äußerten.

Eine solche Überschreitung der Grenze zwischen Realität und Fiktion ist mehr als nur ein amüsanter Nebeneffekt, sondern eröffnet einen Comic-Diskurs, bei dem der Kunstgegenstand mit einer solchen Grenzüberschreitung spielt. Im heutigen Literaturbetrieb ist dies kein ungewöhnliches Verfahren, immer wieder vermengen sich Reales und Erdichtetes spielerisch, wie etwa bei Walter Moers, dem Zeichner des Kleinen Arschlochs, der seine Interviews an seine eigene Kunstfigur, Hildegunst von Mythenmetz, delegiert. Grafische Literatur, die dazu imstande ist, durch ihre Selbstreferenzialität einen heißblütigen Diskurs in der Wirklichkeit zu provozieren, ist im deutschen Comic-Kosmos, anders als im Literaturbetrieb, aber ein Novum. Im Rahmen der Zeitung und ihres Publikums hat der Comic also durchaus den avantgardistischen Charakter, der für den bürgerlichen Kunstbegriff des 20. Jahrhunderts so zentral ist. Schade ist, dass diese Qualität in der Carlsen-Publikation unter den Tisch fällt, da der Metadiskurs, den der Comic in der F.A.Z. eröffnet hatte, dort keinen Platz gefunden hat.

Abbildungen: © Flix / Carlsen Verlag, Hamburg 2012.

 

Don Quijote
Flix
Hamburg: Carlsen, 2012
136 S., 16,90 Euro
ISBN 978-3-551-78375-2